Das Quartier als Nukleus einer großen Klimaschutzperspektive

Von Werner Spec, Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg und Leiter der DV-Arbeitsgruppe „Energie, Immobilien und Stadtentwicklung“

Auch wenn den jungen Leute von „Fridays for Future“ vielleicht nicht immer bewusst ist, was im Bereich Klimaschutz schon alles angestoßen wird und wie viele Hemmnisse es in der praktischen Umsetzung gibt – Recht haben sie trotzdem: Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir die Dekarbonisierung innerhalb der nächsten 30 Jahre nicht erreichen. Was den Gebäudebereich angelangt, so wird hier die Sanierung im Bestand entscheidend sein – und die funktioniert nur auf der Ebene des Stadtviertels. Deshalb sollte das Quartier der Nukleus einer großen Klimaschutzperspektive werden. Denn dieses kann zum einen als „Real-Labor“ für innovative Modellprojekte dienen. Gleichzeitig lassen sich im Quartier durch den Einsatz erneuerbarer Energien, Sektorkopplung, Zwischenspeicherung und nachhaltige Mobilitätslösungen die Maßnahmen zur energetischen Modernsierungen optimal mit einer klimaneutralen Energieversorgung verbinden. Denn nicht das einzelne Gebäude sollte als Dämmobjekt ein Maximum an CO2 einsparen müssen, sondern das komplette Viertel. Dabei ist eine Technologieoffenheit wichtig, die sich am Preis-Leistungsverhältnis orientiert.

Kursbuch Klimaschutz im Gebäudebereich

Ein im April 2019 veröffentlichtes Kursbuch der Arbeitsgruppe „Energie“ des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV) gibt konkrete Handlungsempfehlungen, wie der Klimaschutz im Gebäudebereich gelingen kann. Dazu zählen die Stärkung von Quartierslösungen, mehr Technologieoffenheit und – neben Mindesteffizienzstandards – eine klare CO2-Orientierung der energetischen Gebäudeanforderungen. Der DV rät außerdem zu zielgruppenspezifischen Förderanreizen sowie zu einer intensiveren Beratung und Begleitung der Eigentümer.

Bessere Anreize für private Kleinvermieter und Selbstnutzer

Was die Fördersystematik angeht, so müssen wir die Anreize gerade für private Kleinvermieter und Selbstnutzer, die zusammen fast 80 Prozent des Wohnungsbestandes halten, deutlich verbessern und die Förderprogramme vereinfachen. Wir brauchen zur Steigerung der energetischen Gebäudesanierung eine größere Breitenwirkung anstelle weniger, sehr aufwändiger und hochambitionierter Vollsanierungen. Um Anreize zu setzen, wäre neben Investitionszuschüssen endlich auch die steuerliche Förderung notwendig. Beides sollte möglichst nah am Anforderungsniveau ansetzen. Da Bestandsgebäude baulich und technisch sehr unterschiedlich sein können, und die Sanierung dadurch bei manchen Häusern viel teurer und aufwändiger ist als bei anderen, sollte zum Beispiel überprüft werden, ob deren Ausgangszustand nicht in die Bewertung einer Förderung mit einfließen müsste.

CO2-Bepreisung als wirkungsvolle Maßnahme

Eine Möglichkeit, Kohlenstoffdioxid wirkungsvoll zu reduzieren, könnte eine CO2-Bepreisung sein. Damit würde man auch wirtschaftliche Anreize für technologieoffene Maßnahmen schaffen. Als Basis für die energetische Gebäudebewertung sollten zudem der Endenergiebedarf und die entsprechenden CO2-Emissionskennwerte dienen. Unter Einhaltung von Mindesteffizienzstandards sollte es Gebäudeeigentümern freigestellt sein, ob sie weitere CO2-Einsparungen über mehr erneuerbare Energien erreichen wollen, oder über mehr Dämmung. Genauso wichtig sind die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure und eine integrierte Herangehensweise: Denn mit einem sektoralen Ansatz kommen wir beim Klimaschutz nicht weiter. Vielmehr ist es wesentlich, Umwelt, Wirtschaft, Rechtsrahmen und individuelles Verhalten zusammenzudenken.

Kommunen müssen Akteure für Modernisierung mobilisieren

Insbesondere den Kommunen kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Es gilt, Prozesse anzustoßen, Akteure zu mobilisieren und zwischen diesen zu moderieren und damit die unterschiedlichen Interessenlagen im Quartier zu koordinieren. Gerade was private Kleinvermieter und Selbstnutzer anbelangt, sind ineinandergreifende Beratungsketten entscheidend, möchte man sie von einer energetischen Modernisierung überzeugen. Nur so lassen sich Verunsicherungen in Bezug auf Wirtschaftlichkeit und technische Probleme vermeiden. Damit die Kommunen diese Rolle ausfüllen können, benötigen sie allerdings von Bund und Ländern ausreichend Unterstützung.

Bei seiner Arbeit an einem Maßnahmenpaket für mehr Klimaschutz sollte das Klimakabinett der Bundesregierung das DV-Kursbuch als anwendungsorientierte Hilfestellung berücksichtigen. Auch sollte sie die Kontakte nutzen, die der Verband als neutrale Dialogplattform zu allen wichtigen Akteuren im Bereich Klimaschutz im Gebäudebestand hat.

Im Rahmen seiner Jahrestagung am 28. Mai 2019 stellte der DV sein Kursbuch zum Klimaschutz im Gebäudebereich vor, das auf positives Feedback der Teilnehmer stieß.

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© Nikita Kuzmenkov; © André Hercher