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Räumlich integriert und sektorübergreifend zu treibhausgasneutralen Quartieren

DV veröffentlicht Empfehlungen für besseren Klimaschutz im Gebäudebestand

Von Werner Spec, ehemaliger Oberbürgermeister von Ludwigsburg und Leiter der AG Energie

Bei der Abschlussveranstaltung des Runden Tisches „Neue Impulse für nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand“ am 29. Juni 2021 hat der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. (DV) seine Handlungsempfehlungen veröffentlicht. Darin zeigt er Wege auf, wie der Gebäudebestand bis 2045 treibhausgasneutral wird. Zentral sind dafür optimale Kombinationen aus ambitionierten energetischen Gebäudesanierungen und dem Einsatz regenerativer Energien, durch die sich die Klimaschutzziele sozialverträglich, wirtschaftlich und ohne Schäden für baukulturelle Werte erreichen lassen.

Zusammen für Treibhausgasneutralität bis 2045

Das neue Bundes-Klimaschutzgesetz fordert bis zum Jahr 2045 Treibhausgasneutralität – dies betrifft neben Verkehr und Energie auch den Gebäudesektor. Mit der Fortsetzung bestehender Maßnahmen lässt sich dieser Zielwert jedoch nicht erreichen: die jährliche Sanierungsrate muss auf mindestens 1,5 bis drei Prozent steigen und die Wärmeerzeugung auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Vor diesem Hintergrund hatte sich der vom DV organisierte sektorenübergreifend besetzte „Runde Tisch“ ein Jahr lang mit integrierten Lösungsansätzen befasst. Ein Fokus lag auf dem Quartier als Handlungsebene.

Dabei erörterten Vertreter:innen von Immobilien- und Energiewirtschaft, Mieter:innen, Umweltorganisationen, Förderinstituten, Bundes- und Landesministerien sowie Kommunen mögliche Wege zu einem klimaneutralen Gebäudebestand. Die wissenschaftliche Begleitung übernahm das Institut Wohnen und Umwelt (IWU). Bei der Abschlussveranstaltung übergab der DV die daraus erarbeiteten Handlungsempfehlungen dem parlamentarischen Umweltstaatssekretär Florian Pronold, der die Dialoginitiative gemeinsam mit dem Verband initiiert hatte.

Energieversorgung und Gebäudesanierung im Quartierszusammenhang

Die Kombination aus Energieeinsparungen und einer Umstellung der Wärme- und Warmwasserversorgung auf erneuerbare Energien ist besser im Quartierszusammenhang zu erreichen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass Standards für einzelne Gebäude aufgeweicht werden und weniger Modernisierungen erfolgen. Die Diskussionen im „Runden Tisch“ darüber waren kontrovers: die Immobilien- und Energiewirtschaft plädiert für Kompensationsmöglichkeiten und sieht darin einen wirtschaftlichen und sozialverträglichen Klimaneutralitätspfad. Umweltschutzverbände setzen sich dagegen für sehr hohe Wärmeschutzstandards ein, die – unterstützt durch Förderung – wirtschaftlich umsetzbar und für die Klimaneutralität unverzichtbar seien. Hier besteht Forschungsbedarf – allerdings können wir nicht auf die Erkenntnisse warten. Der Energieverbrauch in den Gebäuden muss bereits jetzt erheblich reduziert werden, wobei das höchste Maß an Effizienz anzustreben ist: die verbesserte gesetzliche Förderung der energetischen Sanierung zeigt bereits eine positive Wirkung. Wärmenetze sind unter Nutzung von Abwärme und Wärmepumpen schrittweise auf CO2-freien Betrieb umzustellen. Parallel dazu muss der Ausbau erneuerbarer Energien schneller vorangehen. Beim Ausbau von grünem Wasserstoff ist für Quartiere insbesondere die Nutzung der Abwärme aus der Elektrolyse von Interesse sowie die Speicherfunktion. Grüner Wasserstoff wird auf absehbare Zeit vorrangig für die Industrie, sowie teilweise für die Mobilität und versorgungssicheren Strom benötigt.

Das "Mieter-Vermieter-Dilemma"

Die aktuelle CO2-Bepreisung führt eine neue wirtschaftliche Anreizsystematik ein, die perspektivisch Investitionen in Energieeinsparung und erneuerbare Versorgung lohnender macht. In diesem Zusammenhang ergeben sich Fragen zur Verteilung bzw. Umlage der CO2-Bepreisung zwischen Vermieter:innen und Mieter:innen. Im vermieteten Bestand muss es sowohl bei Vermietern als auch bei Mietern einen Anreiz zur Vermeidung von CO2 geben. Bei der Aufteilung ist eine differenzierte Regelung dahingehend anzustreben, dass sich für Vermieter energetische Investitionen in Wohngebäude positiv auswirken, für Mieter ein geringer Verbrauch von fossiler Energie.

Klimaschutz braucht handlungsfähige Städte und Gemeinden

Die Klimaziele können nur dann erreicht werden, wenn die Kommunen mit zunehmender Breite energetische Quartierskonzepte und Wärmeleitplanungen erarbeiten und diese mit beharrlicher Beratung und Beteiligung der Akteure zur Umsetzung bringen. Um angesichts der Dimension anstehender Investitionen in den Klimaschutz unnötig hohe Kosten durch fehlende Koordination zu vermeiden, ist eine verbindliche Wärmeleitplanung in den Kommunen bis zur Mitte dieses Jahrzehnts anzustreben.

Die Städte und Gemeinden sind bereits durch den Ausbau von Bildungs- und Betreuungsangeboten, für die Integration von Geflüchteten, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und die Bekämpfung der Pandemie und deren Folgen bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit belastet. Deshalb müssen sie finanziell in die Lage versetzt werden, ihre unverzichtbare Rolle wirksam leisten zu können. Wir schlagen daher unter Beachtung des Konnexitätsprinzips vor, Klimaschutz zur kommunalen Pflichtaufgabe zu erheben und durch gesetzliche Regelungen von Bund und Ländern die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.

Finanzierbarkeit der Gebäudesanierung bei hohen Standards

Kontrovers diskutiert wurde am „Runden Tisch“, ob das ordnungsrechtliche Anforderungsniveau erhöht, Förderung nur auf ambitionierte Effizienzstandards beschränkt, Sanktionierungen für energieineffiziente Gebäude oder Sanierungspflichten eingeführt werden sollen oder ob eine stärker an den Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes ausgerichtete Förderung zu mehr energetische Modernisierungen in der Breite führt. Aus Sicht der Immobilienwirtschaft ist der Aspekt der Wirtschaftlichkeit bei Sanierungsmaßnahmen abhängig von den Parametern wie Gebäudetyp oder bereits erfolgter Dämmung. Zu hohe verpflichtende Anforderungen könnten kontraproduktiv sein. Aus Umweltschutzperspektive lässt sich mit niedrigeren Anforderungsniveaus bei der Energieeffizienz die Treibhausgasneutralität nicht erreichen, da zur Kompensation nicht ausreichend erneuerbare Energien vorhanden sind und diese in ineffizienten Gebäuden verschwendet werden.

Flexibilität, Technologieoffenzeit, Förderanreize und Beratung gefragt

Wichtig für mehr Klimaschutz im Gebäudebestand sind Flexibilität und Technologieoffenheit für die jeweils besten Lösungen vor Ort, Förderanreize, aufsuchende und unabhängige Beratung und Begleitung von Eigentümer:innen sowie ordnungsrechtliche und fördertechnische Bedingungen für sektorenübergreifende Klimaschutzansätze im Quartier, die Wärme, Strom und Mobilität miteinander kombinieren. Der DV hofft, dass die Erkenntnisse aus dem „Runden Tisch“ dazu Anregungen liefern können und dass der Dialog mit allen Beteiligten fortgeführt werden kann.

Weitere Informationen

Werner Spec, ehemaliger Oberbürgermeister von Ludwigsburg, übernahm die Leitung des „Runden Tisches“. In dieser Funktion überreichte er bei der Abschlussveranstaltung gemeinsam mit dem Generalsekretär des DV, Christian Huttenloher, dem Parlamentarischen Umweltstaatssekretär Florian Pronold die Empfehlungen des DV. Zusätzlich verfasste er auf Basis der Empfehlungen zehn zusammenfassende Kernthesen für einen besseren Klimaschutz im Gebäudebestand.

Die Empfehlungen des DV für besseren Klimaschutz im Gebäudebestand sowie die zehn Kernthesen von Werner Spec finden Sie hier.

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