Manchmal ist es im Herzen der Stadt am einsamsten

Von Eddy Adams, thematischer URBACT-Experte

Was können Städte gegen die zunehmende Einsamkeit und soziale Isolation ihrer Bürger tun? Einige Antworten aus der ganzen Welt

Spanische, zypriotische und griechische Leser werden vielleicht ein bisschen schadenfroh gewesen sein, als sie die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Studie zu den Ebenen des sozialen Zusammenhalts in ganz Europa gelesen haben. Denn trotz ihres offensichtlichen wirtschaftlichen Erfolgs haben Deutschland, Großbritannien, Dänemark und andere nordeuropäische Länder schlecht gegen ihre südlichen Nachbarn abgeschnitten. Zypern steht an der Spitze des guten nachbarschaftlichen Verhaltens in Europa, vor Kroatien und Rumänien. Spanien, wo die Jugendarbeitslosigkeitsrate Anfang 2014 beinahe 58 Prozent betrug, hat mit die höchste Lebenszufriedenheit in Europa, unter den 28 Mitgliedsstaaten steht es auf Platz 8. Am anderen Ende der Skala ist Großbritannien die traurige Hochburg der Einsamen in Europa: Die Briten kennen ihre Nachbarn kaum und haben nicht so starke Freundschaften wie die Menschen überall anders in Europa, wie die offizielle Studie behauptet. Nur die Deutschen fühlen sich ihren Nachbarn noch weniger verbunden als die Briten – allerdings haben sie dafür wesentlich mehr gute Freunde, auf die sie sich in einer Krise verlassen können, so die Analyse, die das englische Statistikamt veröffentlicht hat.

Das Zeitalter der Einsamen

Auf der Suche nach einem Charakteristikum für unsere Zeit prägte George Monbiot kürzlich den Begriff des „Zeitalters der Einsamen“. Er bemerkte, dass der Terminus „digitales Zeitalter“ viel über unsere Gegenstände bzw. Werkzeuge und nichts über uns als Gesellschaft aussagt. Einsamkeit wird jedoch mehr und mehr als ein Phänomen erkannt, das Jung und Alt betrifft, insbesondere dort, wo der wirtschaftliche „Fortschritt“ am größten ist.

Es liegt eine gewisse Ironie in den Daten, die suggerieren, dass gerade die Generation junger Menschen, die auf technischer Ebene am besten Netzwerke bildet, unter großer Isolation, Unsicherheit und Traurigkeit leidet. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass bei vielen jungen Menschen eine gewisse Verbindung zwischen der Nutzung sozialer Medien und psychischen Problemen besteht. Ein Faktor scheint dabei die Tatsache zu sein, dass online jeder ein wundervolles, erfolgreiches Leben führt, was den Grad der Angst und der Unzulänglichkeit vieler anderer befördert. „Aussagen in den sozialen Medien sind mit Vorsicht zu genießen!“, könnte der Ratschlag älterer Generationen sein, aber auch sie sind nicht immun gegen die Plage des Alleinseins: Eine Studie des britischen Independent Age behauptet, dass 700.000 Männer und 1,1 Millionen Frauen über 50 Jahren in Großbritannien unter ernsthafter Einsamkeit leiden. Schätzungen zufolge hat soziale Isolation die gleichen gesundheitlichen Folgen, wie 15 Zigaretten am Tag zu rauchen. Einsamkeit macht krank!

Demografischer Wandel und Änderungen des Lebensstiles sind Auslöser

Trotz des offensichtlich besseren sozialen Zusammenhalts in Süd- und Osteuropa gibt es keinen Grund zur Selbstgefälligkeit. In allen europäischen Städten gibt es einige Schlüsselfaktoren, die die Aussichten auf steigende Einsamkeit und Isolation in den kommenden Jahren erhöhen. Der offensichtlichste ist die Prognose für die sich verändernden demografischen Strukturen. Überall in Europa geht die Tendenz hin zu einer höheren Lebenserwartung und einem dramatischen Ansteigen des Anteils älterer Menschen. Eurostat schätzt, dass zwischen 2011 und 2060 der Anteil der Menschen über 65 Jahren in Europa von 18 auf 30 Prozent ansteigen wird. Prognosen deuten darauf hin, dass sich im gleichen Zeitraum der Anteil der über 80-jährigen fast <link http: epp.eurostat.ec.europa.eu statistics_explained index.php population_structure_and_ageing>verdreifachen wird. Aber das sind nicht die einzigen Faktoren. Eine Begleiterscheinung der höheren Lebenserwartung ist die steigende Anzahl der alleinlebenden Menschen. Das können alte Menschen mit erwachsenen Kindern und verstorbenem Partner sein. Zunehmend gibt es aber auch mehr Single-Haushalte, verbunden mit der gestiegenen Scheidungs- und Trennungsrate und einer wachsenden Vorliebe für das Alleine-Wohnen.

Rasante Verstädterung zerstört gewachsene Strukturen und Nachbarschaften

Auch dort, wo sich städtische Räume schnell verändern, werden Nachbarschaften aufgelöst und der Gemeinschaftssinn geht verloren. Dieser Trend herrscht insbesondere außerhalb von Europa vor, wo eine intensive Verstädterung stattfindet: In Afrika und Südamerika sind die Verstädterungsquoten heute höher als im Europa zu Zeiten der massiven Industrialisierung.  Aber es sind Länder wie China und Südkorea, in denen die Urbanisierung in halsbrecherischer Geschwindigkeit voranschreitet, und das mit enormen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. In China wird das Phänomen der wachsenden Isolation in Städten immer besser dokumentiert. Dort wird das Erbe der Ein-Kind-Politik besondere Konsequenzen haben. Die Umsiedelung von Landbewohnern in die Städte ist auch ein großer Aspekt davon, genauso wie die Fremdarbeiter. In seinem mit dem Booker-Preis prämierten Roman „Five Star Billionaire“ erforschte Tash Awe die einsamen Erfahrungen von malaysischen Arbeitern, die nach Shanghai versetzt wurden, in die am meisten boomende Stadt der Welt.

Die Megacity Seoul will zur weltweit führenden "teilenden Stadt" werden

Seoul ist eine andere wachsende Metropole, wo der hohe Grad an Urbanisierung den sozialen Zusammenhalt und die Nachbarschaften in der Stadt zerstört hat. Heute eine Megastadt mit 12 Millionen Einwohnern, wurden viele der alten Seouler Stadtteile platt gemacht und ersetzt durch Glastürme und Hochhäuser aus Beton, die durch zwölfspurige Straßen verbunden sind. Won Soon Park, Bürgermeister und sozialer Innovator der Stadt, hat sich vorgenommen, den daraus resultierenden negativen sozialen Auswirkungen entgegenzuwirken. Seine Vision ist es, Seoul als die weltweit führende „teilende Stadt“ zu etablieren. Ein Schlüsselelement dieses Anspruchs basiert auf dem Wunsch, die Bürger wieder miteinander in Verbindung zu bringen. Bürgermeister Park hat die Entwicklung zahlreicher Initiativen unterstützt, die das zersetzende Phänomen der städtischen Isolation angehen sollen. Eine davon ist <link http: one-tour.yuman.fr zipbob-interested-in-social-dining-in-south-korea>Zipbob, eine Initiative zum gemeinsamen Essen, die Gemeinden zusammenbringt, die zusammen kochen, sich kennenlernen und Netzwerke knüpfen.

Alleine bowlen

Schlüsselfaktoren für unsere immer einsamer werdende Gesellschaft sind also die schnelle Verstädterung, der demografische Wandel und die sich verändernden Familienstrukturen. Ein weiterer ist der Niedergang von gemeinsamen Erfahrungen in der Gruppe, insbesondere im immer säkulareren und de-industrialisierten Europa. Das Leben der vorherigen Generationen in Großbritannien war in hohem Grade charakterisiert durch die gemeinsamen Erlebnisse mit anderen. Die Menschen – vor allem die Männer – arbeiteten in Fabriken zusammen, wo sie oft genau den gleichen Tätigkeiten nachgingen wie viele ihrer Kollegen. Auch ihre Freizeit verbrachten sie mit vielen ihrer Altersgenossen – Kino, Fußballspiele, Theater. Heute dagegen können oder wollen sich viele Menschen angesichts des Internets und steigender Ticketpreise keine Stadionbesuche oder Aufführungen mehr leisten. Als ich in den 1960er und 1970er Jahren in Schottland aufwuchs, hatten wir drei Fernsehkanäle und es war klar, dass sich das Gespräch in der Schule am Montagmorgen um das Samstagabendprogramm drehte, weil fast alle Menschen dasselbe gesehen hatten.

Vielleicht auch aus Mangel an Alternativen gab es einen höheren Grad an Mitbeteiligung in Gesellschaften und Clubs. Auch das stärkte ein gewisses Gefühl der Teilhabe und Zugehörigkeit. In seinem bahnbrechenden Buch „Bowling Alone“ untersuchte Robert D. Putnam den Kollaps dieser gemeinsamen Erfahrungen in den USA und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft. Obwohl dieser Aspekt der Gesellschaft in den USA die Entwicklungen in Europa widerspiegelt, gibt es eine große Aktivität der Mitbeteiligung, die beide Gesellschaften trennt – die Teilnahme am Gottesdienst. In Europa stellen die immer weniger werdenden Gottesdienstbesucher unter den Christen einen der Hauptumbrüche in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Während der Besuch eines Gottesdienstes eine zentrale Komponente aller Nicht-Christen in Europa ist, haben die Kirchen auf dem ganzen Kontinent mit dem Niedergang zu kämpfen, sogar in den katholischen Kernländern Italien und Spanien.

Die Sonntags-Versammlung

Eine interessante – und unterhaltsame – Antwort darauf war die Entwicklung eines innovativen Pilotprojektes namens „Sonntags-Versammlung“ (Sunday Assembly). Diese soziale Unternehmung, die in London begann und sich mittlerweile in 187 Städten in ganz Europa etabliert hat, bringt die Menschen am Sonntagmorgen zusammen, um die Freude darüber zu feiern, dass sie am Leben sind, ohne ein Element wie Gott. Sanderson Jones, der die Zeremonien mit seiner Geschäftspartnerin Pippa Jones einberuft, behauptet, dass die Menschen sich nach einer gemeinsamen Erfahrung des gefeierten Lebens sehnen, genauso wie nach Ritualen, die Übergänge im Leben markieren, obwohl sie sich schwer tun, an Gott zu glauben. Die Boulevardpresse hat eine solche „Sonntags-Versammlung“ einmal begleitet und sie als „Atheistische Kirche“ bezeichnet, aber tief innen reflektiert der Erfolg dieser Versammlungen die Einsamkeit des modernen Lebens, insbesondere in den Städten, und den Hunger der Menschen nach lokalen Erfahrungen mit ihren Brüdern und Schwestern.

Gut vernetzt im Alter

Für einige von uns war es keine Überraschung, dass die <link http: mayorschallenge.bloomberg.org>Bloomberg Challenge (Wettbewerb der Bürgermeister) im Herbst 2014 von einem Projekt gewonnen wurde, das sich mit Demenz und der Isolation alter Menschen beschäftigte. Es hat auch nicht erstaunt, dass Barcelona gewonnen hat, das einen zunehmend guten Ruf als innovative Stadt hat, nachdem es bereits früher im selben Jahr mit dem Innovations-Preis der Europäischen Kommission (<link http: ec.europa.eu research innovation-union>European Capital of Innovation Award) gekürt worden war. Das Bloomberg-Gewinnerprojekt ist interessant für unsere Diskussion über soziale Medien und Isolation, da es vorschlägt, die Netzwerke älterer Menschen durch Technik zu verstärken. Die Kernidee ist, ein Vertrauensnetzwerk aufzubauen, in dem anfällige ältere Menschen miteinander verbunden werden, wobei eine Technologie angewandt wird, die man normalerweise mit Teenagern assoziiert. Es setzt sich mit der Zunahme älterer Menschen auseinander und mit der Notwendigkeit, ihre Netzwerke zu stärken und zu unterstützen – auch in Barcelona, einer Stadt mit vergleichsweise gutem sozialem Zusammenhalt.

Gut altern in der Stadt

Jetzt, da URBACT in eine neue Programmperiode eintritt, werden wir wohl auch mehr Projektvorschläge sehen, die sich auf ältere Menschen und Herausforderungen wie Demenz oder Einsamkeit konzentrieren. URBACT II hatte bereits Projekte mit diesem Schwerpunkt, interessanterweise beide mit italienischen Lead Partner-Städten. Das erste Netzwerk, <link http: urbact.eu en projects active-inclusion active-age homepage>Active AGE wurde von der Stadt Rom zwischen 2009 und 2011 koordiniert. Das zweite, <link http: urbact.eu en projects active-inclusion healthy-ageing homepage>Healthy Ageing Cities war ein Pilot-Transfernetzwerk unter Federführung der Stadt Udine. Letztere untersuchte, in welchem Ausmaß das Udine-Modell zur Unterstützung älterer Menschen auf die anderen vier Partnerstädte übertragen werden könnte. Dies waren Edinburgh, Brighton and Hove, Grand Poitiers und Klaipeda. Im Gegensatz zum Barcelona-Modell basiert die Praxis in Udine auf einem Netzwerk sozialer Aktivitäten – Spaziervereine, städtische Obstgärten und generationenübergreifende Veranstaltungen – um die älteren Bürger zu motivieren und in Kontakt zu bringen. Das Modell basiert auch auf der Auswertung großer Datenmengen, um die Treffsicherheit sowohl bei den Örtlichkeiten als auch bei den älteren Bewohnern zu verbessern und um ihre sich verändernden Bedürfnisse zu kartographieren.

Es stellte sich heraus, dass Udine, obwohl es im Projekt als „Geber-Stadt“ fungiert, auch von seinen anderen Netzwerkpartnern lernt, von denen sich alle auf ihre eigene Art und Weise mit der Unterstützung älterer Menschen beschäftigen. In Hinblick auf die nächste Förderperiode wird dieses Thema wahrscheinlich noch an Bedeutung gewinnen, da die Städte mehr und mehr versuchen, sich auf die Bedürfnisse und den wachsenden Anteil älterer Menschen in unseren Städten und Gemeinden einzustellen.

  • Bildnachweis: <link https: www.flickr.com photos kimota external-link-new-window externen link in neuem>gualtiero
  • <link http: urbact.eu en news-and-events view-one news external-link-new-window externen link in neuem>Englischer Originalartikel von Eddy Adams