Angebunden statt abgehängt: Neue Wege für ländliche Räume

Erfahrungen aus dem europäischen Kooperationsprojekt Peripheral Access

Von Alexandra Beer und Paul Vieweg, Projektkoordinatoren beim DV für Peripheral Access

Regionen in Grenzgebieten und peripheren ländlichen Räumen sind in Europa besonders häufig von Strukturschwäche und Schrumpfung betroffen. Ein entscheidender Faktor für die regionale Wirtschaftsentwicklung und die Lebensqualität auf dem Land ist vor allem eine gute Verkehrsanbindung. Doch leistungsfähige öffentliche Nahverkehrsnetze operieren meist nur innerhalb von Staatsgrenzen und im Umkreis städtischer Zentren und gehen selten über Staatsgrenzen hinaus. Umso wichtiger ist es, periphere Regionen zu unterstützen und sie besser zugänglich zu machen – leben doch immerhin 30 Prozent der Europäer in Grenznähe und 20 Prozent im abgelegenen ländlichen Raum. Zahlreiche Initiativen entwickeln und testen mittlerweile Lösungen auf lokaler Ebene. Konsequent angewandt und ausgeweitet können damit im Kleinen große Erfolge erzielt werden – politische Unterstützung vorausgesetzt. Wie das im vom Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. federführend koordinierten EU-Projekt Peripheral Access gelungen ist, wird hier vorgestellt.

Transnationale Pilotaktionen

Schwerpunkt des im Mai 2020 abgeschlossenen Vorhabens, das aus dem Interreg B-Programm „Mitteleuropa“ (Central Europe) gefördert wurde, war die Frage, wie der Anschluss ländlicher und abgelegener Regionen in Mitteleuropa an den öffentlichen Personennahverkehr verbessert werden kann. Drei Jahre lang arbeiteten die neun Partner aus Slowenien, Italien, Österreich, Polen, Tschechien, Ungarn und Deutschland an lokalen Pilotmaßnahmen, die von der Verbesserung bestehender Transportsysteme bis hin zu einer völligen Neuerschließung bisher nicht versorgter Gebiete reichen. Unter den teilnehmenden Regionen waren sowohl Grenzräume, Stadt-Umland-Regionen als auch ländliche Gebiete. Im Ergebnis entwickelten die Peripheral-Access-Partner gemeinsam politische Handlungsempfehlungen für neue (Verkehrs-)Wege im ländlichen Raum.

Der Projektpartner Regionalmanagement Steirischer Zentralraum übertrug im Rahmen von Peripheral Access das in der Grazer Innenstadt schon erfolgreich etablierte System „tim“, das E-Carsharing mit Parkmöglichkeiten, Taxiständen und Bike-Sharing kombiniert, auf die Umlandgemeinde Hart. Dort wurde es als „Regiotim“ weiterentwickelt. Zusätzlich zu einer Ladestation und der Anschaffung eines E-Autos installierte das Regionalmanagement überdachte Fahrradabstellplätze und Aufbewahrungsmöglichkeiten für Gepäck. Die Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Abhängigkeit der Bürger vom eigenen Auto zu verringern. Der erste „Regiotim“-Knoten bildet außerdem den Auftakt für eine Ausdehnung des Systems auf die ganze Region.

Vogtland will mehr Passagiere für die Elstertal-Bahnstrecke gewinnen

Der Verkehrsverbund Vogtland will die touristisch attraktive Elstertal-Bahnstrecke, die von Thüringen bis in die tschechische Stadt Cheb verläuft, besser für den Freizeitverkehr vermarkten. Dafür wurden Nutzerumfragen durchgeführt und ein dreisprachiges Leitsystem entwickelt. Den Rahmen bildet die Geschichte rund um den Riesen „Voglar“. Seine Fußabdrücke finden Reisende in Form von Fußbodenaufklebern an ausgewählten Bahnsteigen und anderen Punkten entlang der Strecke. Scannen Interessierte die dort abgebildeten QR-Codes mit ihrem Smartphone oder Tablet, erfahren sie mehr über touristische Attraktionen vor Ort oder können auf Fahrpläne zugreifen. Das Leitsystem ist über eine zentrale Website organisiert und könnte somit auf das gesamte Verkehrsnetz ausgedehnt werden.

Mit dem Smart-Bus durch das Umland von Triest

Ziel des Pilotprojekts in der italienischen Region Friaul-Julisch Venetien war es, die Erreichbarkeit des dünn besiedelten Karstplateaus nördlich der Stadt Triest an der Grenze zu Slowenien zu verbessern. Mit Unterstützung durch die Internationale Universität Venedig testete das Verkehrsunternehmen Trieste Trasporti dafür mehrere Monate lang auf zwei Routen den „SMARTBUS“ als Ergänzung zum regulären Linienbusverkehr. Die beiden eingesetzten Fahrzeuge fuhren täglich zwischen 9:00 und 21:00 Uhr – auf Abruf der Passagiere. Trotz vieler Synergieeffekte und der positiven und proaktiven Koordination durch die öffentliche Hand wurde allerdings deutlich, dass der Rechtsrahmen für den grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Italien und Slowenien im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs noch vielen Beschränkungen unterliegt.

Große Pläne für die polnische Region Lubin

In der polnischen Stadt Lubin soll der größte Umsteigeknotenpunkt im ganzen Landkreis entstehen, der lokale, nationale und internationale Verkehrsmittel verknüpft. Die Realisierung wird voraussichtlich rund 95 Millionen Euro kosten und sich über mehrere Jahre erstrecken. Im Rahmen von Peripheral Access erarbeitete die Landkreisverwaltung das erste Konzept. Dabei entwickelten sie unter anderem Gestaltungsrichtlinien für den Bau eines notwendigen Tunnels. Mit ihrer breit angelegte Bürgerbeteiligung erreichte die Verwaltung großes Interesse und Akzeptanz für das Vorhaben in der Region. Daher erhofft sie sich, dass die verabschiedeten Pläne auch von zukünftigen politischen Nachfolgern sowie den beteiligten Institutionen und Unternehmen fortgeführt werden.

Politisches Bekenntnis und zusätzliche finanzielle Mittel notwendig

Peripheral Access verdeutlicht: Innovative Mobilitätslösungen halten im suburbanen und ländlichen Raum teilweise Einzug. Alle Partnerregionen haben mit dem Projekt Verbesserungen im öffentlichen Verkehr erreicht. Lokale Stakeholder müssen aber sehr viel Eigeninitiative und Mut an den Tag legen, um solche Systeme zu testen und anzubieten.

Gerade darin zeigen sich aber schonungslos die bestehenden Defizite: Zahlreiche Regionen in Europa sind bis heute nicht entsprechend an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Das ist nicht nur eine technische Herausforderung. Vielmehr ist auch eine starke politische und vor allem finanzielle Unterstützung sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene erforderlich. Attraktive Mobilitätsangebote in ländlichen Räumen gibt es nicht zum Nulltarif. Hier reichen Pilotprojekte bei weitem nicht aus. Es muss deshalb auf allen Regierungsebenen noch mehr getan werden, damit erfolgreiche Pilotprojekte in die Breite getragen und geeignete Strategien für ländliche Räume eingeführt und umgesetzt werden können. Andernfalls werden Regionen und Mitgliedstaaten weiterhin ihre Priorität auf die Verkehrsverbindungen im Landesinnern legen, was in letzter Konsequenz die Abwanderung von jungen qualifizierten Menschen aus der Peripherie und Grenzregionen befördert.

Der DV engagiert sich seit vielen Jahren in verschiedenen Interreg-Projekten für eine nachhaltige Mobilität in Europa. Auf nationaler Ebene ist der DV derzeit im Rahmen des Vorhabens „TransRegio Allianz“ zusätzlich speziell für die Vernetzung von Interreg-Akteuren aus den fünf ostdeutschen Bundesländern zuständig, die sich mit dem Bereich Mobilitäts- und Raumentwicklung beschäftigen.

Bildnachweise von links oben nach rechts unten:
Rendering des geplanten Verkehrsknotenpunkts © Powiat Lubiński; © Regionalmanagement Steirischer Zentralraum; Floorgraphic als Teil der Marketingmaßnahmen im Vogtland © Verkehrsverbund Vogtland; Launch-Event „Smartbus“ © Trieste Trasporti; Projektpartnertreffen Peripheral Access in Graz, 2019 © DV