Klimaschutz im Corona-Konjunkturpaket ist Gebot der Stunde

Von Werner Spec, ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg, Vorsitzender der AG Energie des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V.

Um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden des Corona-Lockdowns einzudämmen, bereiten Berlin und Brüssel gerade massive Konjunkturimpulse vor. Noch weit gravierender als Corona wird der Klimawandel unser Leben und unsere Wirtschaft treffen, wenn wir jetzt nicht entschieden entgegenwirken und die Erderwärmung dämpfen. Deshalb dürfen der notwendige Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel bei den Konjunkturprogrammen nicht auf Kosten wirtschaftlicher Probleme in den Hintergrund geraten. Ganz im Gegenteil: Jetzt muss die mittelfristig größte weltweite Bedrohung, der Klimawandel, noch entschlossener angegangen werden, die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft und Wirtschaft müssen nachhaltig gestärkt werden! Klimaschutz und Klimaanpassung sind daher die Gebote der Stunde. Gleichzeitig gilt es, unsere geschwächten Stadt- und Quartierszentren wiederzubeleben und die Digitalisierung konsequent voranzutreiben. Die kommenden Konjunkturprogramme stellen vor diesem Hintergrund eine immense Chance zur politischen Gestaltung dar.

 Die geförderten Investitionen müssen ökologisch ambitioniert, gleichzeitig aber auch wirtschaftlich vernünftig und sozialverträglich wirken. Gerade Gebäudeeigentümer*innen und Mieter*innen dürfen mit dem Konflikt zwischen leistbaren Wohnkosten und Klimaschutz nicht allein gelassen werden – sonst sinkt die Akzeptanz für energetische Modernisierungen weiter. Wir brauchen deshalb vor allem technologieoffene und sektorenübergreifende Lösungen, ein integriertes Handeln auf Quartiersebene, ausreichend Förderung und ein auf die Klimaziele abgestimmtes Mietrecht.

Das Quartier als zentraler Handlungsraum

Vor allem durch die öffentliche Hand, die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger in den Städten und Gemeinden entscheiden über einen wirksamen Klimaschutz. Das Quartier ist mit seinem Gebäudebestand sowie seiner Wirtschafts- und Mobilitätsinfrastruktur der ideale stadtentwicklungspolitische Raum für ineinandergreifende Maßnahmen. Für eine optimale Wirkung in den Kommunen darf allerdings kein unübersichtlicher Flickenteppich an neuen Sonderprogrammen entstehen. Vielmehr sollten bewährte Förderstrukturen von Bund und Ländern genutzt und die Förderung in Quartieren gebündelt werden. Hierfür kann auf die bewährten Verfahren der Städtebauförderung aufgesetzt werden.

Durch die Corona-Maßnahmen haben die Kommunen zudem viel kleinere Haushaltsspielräume für Eigenanteile. Auch Wirtschaft und Privatpersonen fahren ihr Engagement zurück. Fördermittel sollten deshalb mit keinen oder minimalen Eigenanteilen sowie minimalem bürokratischem Aufwand gewährt werden. Zudem dürfen die Konjunkturhilfen nicht durch das EU-Beihilferecht eingeschränkt werden.

Mehr Gebäudesanierung, erneuerbare Versorgungslösungen und Sektorkopplung

Die Treibhausgasminderung sollte als klimapolitisches Hauptkriterium bei allen Förderprogrammen festgelegt werden. Der Bund muss ausreichend Fördermittel für die energetische Gebäudemodernisierung bereitstellen und die Programme für Gebäudeeigentümer*innen noch attraktiver, einfacher und flexibler gestalten. Deren Information, Beratung und Begleitung sollte mit dem Ausbau lokaler Beratungsketten deutlich intensiviert werden. Investitionsförderungen und die Verbesserung von gesetzlichen Rahmenbedingungen gilt es auf technologieoffene, sektorübergreifende lokale Konzepte auszurichten.

Um bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, ist der gezielte Ausbau der Sektorkopplung von entscheidender Bedeutung. Dafür brauchen wir ein digital gesteuertes Zusammenspiel von Erzeugung, Zwischenspeicherung erneuerbarer Energien unter Einsatz von Power-to-X-Technologien sowie einem flexiblen Verbrauch in den verschiedenen Sektoren. Das Konjunkturpaket sollte eine umfangreiche Innovations- und Investitionsförderung gewähren, um die dafür notwendigen Technologien weiterzuentwickeln und flächendeckend zum Einsatz zu bringen. Nur so kommen sie zur Marktreife und Wirtschaftlichkeitslücken lassen sich schließen. Dies gilt insbesondere auch für die Weiterentwicklung der Technologien zur Transformation von volatilem grünem Strom in Wasserstoff und E-Fuels. Nur so kann dieser künftig zwischengespeichert und für Verkehr, Industrie und Wärme genutzt werden kann. Zudem müssen Klimagesetze und -verordnungen sowie Steuer- und Energiewirtschaftsrecht so nachjustiert werden, dass sektorübergreifend und quartiersbezogen die Klimaziele erreicht werden können. Der Gebäudesektor muss unter mittel- bis längerfristigen Aspekten in die Wasserstoffstrategie des Bundes aufgenommen werden.

Anpassung an die Folgen des Klimawandels

In den nächsten Jahren werden sich die Klimabedingungen unvermeidlich verändern. Städtebauliche und gebäudebezogene Planungen und Investitionen sind darauf auszurichten, dass sie mit Extremwetterereignissen wie Starkniederschlägen, Hochwasser und längeren Hitze- und Dürreperioden umgehen können und negative Folgen für Menschen, Gebäude und Infrastrukturen eindämmen. Insbesondere innerörtliche Grün- und Freiräume, Frischluftkorridore, öffentliche Plätze und Straßenräume gilt es entsprechend zu gestalten. Aber auch Maßnahmen auf halböffentlichen und privaten Grundstücken sollten verstärkt betrachtet werden. Für resiliente und klimafeste Stadtstrukturen werden wir dichte und kompakte Stadtstrukturen neu interpretieren müssen. Nachverdichtung muss Grünräume erhalten, öffentliche Räume und Straßenräume mit Mehrfachfunktionen belegen und neue Ansätze einschließen, wie z.B. vertikales Grün. Dazu sind erhebliche Sonderinvestitionen notwendig. 

Zukunftsfähigkeit von Innenstädten, Stadtteil- und Quartierszentren

Am stärksten hat der Corona-Lockdown Einzelhandel, Gastronomie sowie soziale und kulturelle Einrichtungen getroffen, die über mehrere Wochen schließen mussten. Für manche Betriebe ist dies existenzbedrohend, sodass zahlreiche innerstädtische Funktionen geschwächt werden. Dies gilt vor allem für wichtige Versorgungs-, Freizeit-, und Kulturfunktionen. Auch die Leerstände steigen mancherorts massiv an. Der Strukturwandel im Einzelhandel wird sich beschleunigen, zumal Teile der Kundschaft, die in den Online-Handel abgewandert ist, nicht in die Geschäfte zurückkehren wird. Ein künftiges Konjunkturprogramm muss sich deshalb dringend der städtebaulichen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Stabilisierung und Wiederbelebung von Innenstädten, Stadtteil- und Quartierszentren annehmen. Insbesondere nachhaltige, auf ökologische und regionale Produkte ausgerichtete Ladenkonzepte sollten im Fokus stehen. Zudem sollte die Digitalisierung der lokalen Wirtschaft vorangetrieben werden, zum Beispiel über den Ausbau von lokalem WLAN, örtlichen Digitalplattformen oder über die Digitalisierung von Betrieben.

Digitalisierung voranbringen

Nicht nur für die energetische Quartierssanierung und die Konkurrenzfähigkeit der Handelsstandorte spielt eine konsequente Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Auch für die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen sowie für zukunftsweisende Bildungs-, Kultur- und Sozialarbeit müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung in den Quartieren vorangebracht werden. Grundlage bildet eine hochleistungsfähige, flächendeckende digitale Infrastruktur. Aktuell sind Unternehmen und Institutionen gezwungen, flexibel und rasch auf digitale Kommunikationsformate umzusteigen, um so die wegfallenden Treffen und Veranstaltungen zu ersetzen. Diese aus der Not geborene Initialzündung sollten wir nun nutzen, um die technischen Möglichkeiten digitaler Bürgerbeteiligung weiterzuentwickeln und vermehrt anzuwenden. Das gleiche gilt für eine kreative digitale Kommunikation und die Vernetzung von sozialen, kulturellen und Bildungsangeboten. Grundvoraussetzung ist allerdings, dass alle einen Zugang zu digitalen Infrastrukturen und Angeboten haben und über ausreichend digitale Kompetenzen verfügen. Dazu gilt es Schulen, Quartierszentren, Bibliotheken und ähnliche Quartierseinrichtungen aufzurüsten.

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