Energiepolitik und nachhaltige Stadtentwicklung - zwei Seiten derselben Medaille

von Werner Spec, Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg, Leiter der Arbeitsgruppe „Energie, Immobilien und Stadtentwicklung“ des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnun

Die Energiewende entscheidet sich vor Ort in den Städten und Gemeinden mit den Bürgern. Die Kommunen nehmen im Transformationsprozess der Energiewende deshalb eine Schlüsselstellung ein. Die verschiedenen Herausforderungen - Klimaschutz und Energieeinsparung, Investitionskosten und Wirtschaftlichkeit, Sozialverträglichkeit und bezahlbares Wohnen, Städtebau und Baukultur, zentrale und dezentrale Versorgungslösungen - treffen in der Kommune räumlich aufeinander. Der Transformationsprozess kann daher auch nur im Zuge einer integrierten Herangehensweise bewältigt werden. Ohne fundiertes Abwägen der Ziele und ohne einen fairen Interessenausgleich zwischen den Akteuren wird es kaum gelingen, tragfähige und weitgehend gesellschaftlich akzeptierte Lösungen zu entwickeln. Eine wesentliche Aufgabe der Kommunen besteht daher in der Initiierung, Moderation und Prozesssteuerung der lokalen Energiewende.

Bei der Konkretisierung der Energiewende vor Ort erhält diese eine räumliche Dimension. Dabei ist der Transformationsprozess technisch und organisatorisch komplex und daher auch mit Unsicherheiten verbunden. Um neue innovative Techniken, Prozesse und Dienstleistungen auf der lokalen Ebene zu erproben und diese anschließend in die Breite zu tragen, haben sich energetische Quartiersansätze etabliert. Denn es werden integrierte energetische Lösungen gebraucht, die bei der Energieerzeugung und dem Verbrauch sämtliche Prozesse miteinander verknüpfen. Dazu gehört auch das mit dem Begriff „Sektorkopplung“ beschriebene zukünftige Zusammenspiel von Gebäuden und Elektromobilität bei der Erzeugung, Speicherung und dem Verbrauch von Energie. Das Quartier bildet dafür den geeigneten Handlungsraum.

Vom Gebäude zum Quartier – Energieeffizienz und Versorgung müssen zusammen gedacht werden

Das gilt auch zur Verortung zielgerichteter Verbindungen von gebäudebezogenen Effizienzmaßnahmen mit gebäudeübergreifenden versorgungsseitigen Maßnahmen zur Nutzung regenerativer Energien. Von Quartier zu Quartier können Energieeffizienzmaßnahmen und Maßnahmen zur Energieversorgung unterschiedlich ausgestaltet sein: ausschlaggebend sind die jeweiligen Eigentumsverhältnisse, die Alters- und Sozialstruktur der Bewohner bzw. Eigentümer, die Baustruktur und das Alter der Gebäude, der Immobilienmarkt sowie die vorhandene Energieinfrastruktur und die Möglichkeiten, erneuerbare Energien einzusetzen.

Zum Erreichen eines möglichst klimaneutralen Gebäudebestands bis zum Jahr 2050 spielen quartiersbezogene, dezentrale Energieversorgungslösungen eine zunehmende Rolle. Die ortsnahe Nutzung lokal erzeugter erneuerbarer Energien ist ein wesentlicher Bestandteil zukünftiger Quartierslösungen über die Effizienzsteigerungen der Gebäude hinaus. In Quartierskonzepten wird für mehrere Gebäude oder gar für kleinere Stadtteile die Energieversorgung organisiert. Der räumliche Zuschnitt liegt dabei zwischen einer Einzelgebäudeversorgung und Fernwärmenetzen.

Sowohl für die Gebäudeenergieeffizienz als auch die Nutzung erneuerbarer Energien gibt der Bund die Rahmenbedingungen vor. Nun sind die Energieeinsparverordnung (EnEV) und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) im neuen Gebäudeenergiegesetz (GEG) zusammengelegt worden. Damit wird das Nebeneinander der wesentlichen Regelwerke, die die energetischen Anforderungen an Neubauten und – im Falle größerer Renovierungen – an Bestandsgebäude bestimmen beendet. Die Regelungen der EnEV und des EEWärmeG werden insoweit inhaltlich unverändert übernommen und zum Teil neu gefasst. Bisher bestehende Unstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten – etwa unterschiedliche Begriffsbestimmungen, die unterschiedliche Behandlung von Strom aus erneuerbaren Energien und divergierende Anforderungen an Anlagentechnik – werden beseitigt.

Quartierslösungen im Gebäudeenergiegesetz (GEG)

Neu eingeführt werden Quartierslösungen für eine effiziente und nachhaltige Wärmeversorgung von Gebäuden. Im Zuge von Quartierslösungen können besonders effiziente Wärmeerzeugungsanlagen in Neubauten auch Bestandsgebäude mitversorgen und somit alte Anlagen mit schlechter Effizienz im Bestand ersetzen.

Über die Anpassung der Primärenergiefaktoren von gebäudenah erzeugten flüssigen oder gasförmigen Biomasse wird den Vorteilen effizienter und nachhaltiger Nahwärmelösungen Rechnung getragen. Anders als bisher wird künftig auch die Nutzung von gebäudenah erzeugtem PV-Strom zur Deckung des Wärme- und Kälteenergiebedarfs als Option zur Erfüllung der Anforderungen an die Nutzung erneuerbarer Energien anerkannt. Damit wird eine Flexibilisierung geschaffen, um die Potentiale von gebäudenah erzeugtem Strom aus erneuerbaren Energien besser auszuschöpfen. In einer langfristigen Perspektive lassen sich auch daraus neue Quartierslösungen entwickeln.

Darüber hinaus ist im GEG eine transparente und nachvollziehbare Neujustierung der Primärenergiefaktoren vorgesehen, wozu die Klimawirkung (CO2-Emissionen), die Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeitsaspekte (z.B. Verfügbarkeit und Nutzungskonkurrenzen) einzelner Primärenergieträger sowie Technologien und Verfahren zur Wärme- und Kälteenergiebereitstellung bei der Anpassung stärker berücksichtigt werden sollen. Allerdings sind damit keine Abstriche bei der energetischen Qualität der Gebäudehülle verbunden, denn die Mindestanforderung an den baulichen Wärmeschutz wird weder im Bestand noch beim Neubau verändert.

Neben durchaus positiven Aspekten des neuen GEG lässt der Bund durch die weitgehende Beibehaltung bisher geltender Regelungen die Möglichkeit verstreichen, mit der Überarbeitung eine aus Anwendersicht dringend gebotene Vereinfachung des komplexen Reglungswerks vorzunehmen. Eigentümer wollen Maßnahmen und Technik selbst verstehen, bevor sie sich für eine Investition entscheiden. Es gilt daher dringend mehr Transparenz und eine Vereinfachung zur besseren Nachvollziehbarkeit des GEG für Architekten, Planer, Handwerker und Hauseigentümer zu erreichen. Und auch auf das bekannte Dilemma der Abweichung von Energiebedarfsberechnungen und tatsächlichen Verbräuchen wurde nicht reagiert. Insbesondere im Hinblick auf das Vertrauen der Bürger in eine gute fachliche Energieberatung und die Sinnhaftigkeit energetischer Sanierungsmaßnahmen sind hier Lösungen im Regelwerk zu entwickeln. Beide Aspekte sollten zum Anspruch der Politik gehören, die Bürger bei der Energiewende mitzunehmen.

Ohne eine Quartiersbetrachtung wird die Energiewende im Gebäudebereich kaum gelingen

Im Klimaschutzplan 2050 werden für Sanierungen von Bestandsgebäuden die energetischen Anforderungen zwischen 2020 und 2030 schrittweise weiterentwickelt. Auch wenn konkrete Effizienzstandards nicht benannt werden deutet einiges darauf hin, dass die Mindesteffizienzanforderung dann um dem aktuellen Neubaustandard liegen dürfte. Denn der sanierte Bestand soll maximal 40 Prozent über dem dann gültigen Neubaustandard liegen. Um diese Ziele wirtschaftlich und sozialverträglich erreichen zu können, ist eine weitere Flexibilisierung zwischen der Gebäudeeffizienz und einer Energieversorgung mit erneuerbaren Energien zum Erreichen der gesetzlichen Anforderungen notwendig. Hierfür bieten Quartierslösungen geeignete Anknüpfungspunkte.

Die Wende in der Energiepolitik und eine nachhaltige Stadtentwicklung sind aus kommunaler Sicht zwei Seiten derselben Medaille. Insofern gilt es die Handlungsoptionen für energetische Quartiersansätze in den rechtlichen Rahmenbedingungen zukünftig weiter zu entwickeln und zu stärken. Denn über technische und wirtschaftliche Aspekte hinaus, stellt das Quartier die Verbindung zwischen Einzeleigentümern und politischer Ebene her. Es ist der zentrale Handlungsraum, um Gebäudeeigentümer, Bürger und Unternehmen zu sensibilisieren, zu motivieren, zu beraten und zu befähigen, aktiv an der Energiewende und am Klimaschutz mitzuwirken.

Zum Autor

Der Ludwigsburger Oberbürgermeisters Werner Spec ist neuer Vorsitzender der AG Energie. Im Fokus der ersten Sitzung unter seiner Leitung am 2. März 2017 in Berlin stehen zum einen die Frage nach wirkungsvollen energetischen Quartierslösungen und den dafür hilfreichen ordnungs- und förderrechtlichen Rahmenbedingungen und zum anderen die Mobilisierung der Gebäudeeigentümer zur energetischen Sanierung.

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© Nikita Kuzmenkov