Umgang mit differenzierten Wohnungsmarktentwicklungen

Von Lutz Basse, Vorsitzender des Aufsichtsrats der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Wohnungswesen

Die deutschen Wohnungsmärkte sind in Bewegung wie seit Langem nicht mehr. Dies veranschaulicht der „Wohnungs- und Immobilienmarktbericht“ des Bundesamtes für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Bedingt durch Wanderungen und demografische Trends gibt es viele teils kleiräumige Marktkonstellationen. Während wachsende Stadtregionen mit Engpässen und hohen, steigenden Mieten und Preisen konfrontiert sind, bleibt in etwa einem Drittel aller Städte und Kreise der Leerstand die Herausforderung. Dabei überholen sich alte Ost-West-Muster. Auch Leipzig, Dresden, Jena, Erfurt oder Rostock wachsen. Außerhalb der Wachstumsräume Westdeutschlands stehen viele Eigenheime leer. Insgesamt lebt die Mehrheit der Bevölkerung in Wachstumsregionen, zwei Drittel aller kreisfreien Großstädte wachsen. In etwas mehr als der Hälfte der Kreise und sechs Prozent der Großstädte sinkt die Bevölkerung, so zum Beispiel auch in mancher Ruhrgebietsstadt.

Zunehmende regionale Preisunterschiede

Durch diese Entwicklungen driften die Preise und Mieten zwischen den Regionen weiter auseinander. Ein Einfamilienhausgrundstück in mittlerer Lage kostet in Ostfranken im Schnitt zwölf Euro pro Quadratmeter, in München dagegen 1.200 Euro. Ein gebrauchtes Eigenheim ist in Großstädten für durchschnittlich 383.000 Euro zu haben, in ländlichen Kreisen schon für 135.000 Euro. In stark schrumpfenden Kreisen sinken die Preise sogar. In den städtischen Zuzugsregionen sind die Immobilienpreise sehr stark gestiegen, teils sogar deutlich stärker als die Mieten. Einige süddeutsche Universitätsstädte erlebten zwischen 2009 und 2014 Preissteigerungen für Eigentumswohnungen von über 50 Prozent.

Mitverursacht werden die hohen Preissteigerungen dadurch, dass Immobilien als Kapitalanlage wegen der geringen Zinsen sehr beliebt sind, gerade auch bei ausländischen Anlegern. In vielen Großstädten hat sich dadurch das Miet-Kaufpreis-Verhältnis deutlich verschlechtert: Die Refinanzierbarkeit aus den Mieten ist mancherorts kaum mehr gegeben. Trotz dieser Übertreibungen besteht aber noch keine finanz- und volkswirtschaftlich gefährliche Immobilienblase. Zum einen ist der deutsche Immobilienmarkt sehr stabil, ebenso wie das Finanzierungssystem. Zum anderen erfolgt die Finanzierung mit hohen Eigenkapitalanteilen und hoher Tilgung. Dennoch: Wenn die Nachfrage infolge einer künftigen Zinserhöhung nachlässt, könnten in manchen Städten und Stadtteilen die Preise auch wieder sinken, so dass Anleger und Selbstnutzer Wertverluste verzeichnen. Ein höheres Zinsniveau kann manche Käufer auch bei der Anschlussfinanzierung nach auslaufender Zinsbindung in Schwierigkeiten bringen.

Deutlich erhöhter Neubaubedarf

Vor allem für die städtischen Wachstumsregionen ist noch deutlich mehr Wohnungsneubau notwendig. Dies gilt – vorwiegend im Eigenheimsegment – selbst für manche stagnierende und schrumpfende Regionen, da die Haushaltszahlen bis in die 2020iger Jahre leicht steigen und hohe qualitative Ansprüche bestehen. Das BBSR prognostizierte noch vor einem Jahr einen weiteren jährlichen Neubaubedarf von 272.000 Wohneinheiten bis 2020. Grundlage dieser Annahme sind Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklungen, Binnen- und Außenwanderung sowie weitere Parameter.

Diese Zahl hat sich im Vergleich zur Wohnungsmarktprognose von 2010 um fast 100.000 Wohnungen erhöht. Ursache ist die stark gestiegene Auslandszuwanderung. Ging das BBSR vor fünf Jahren noch von einem jährlichen Wanderungsgewinn von 70.000 Einwohnern aus, stieg der Saldo 2013 auf 429.000 und im Jahr 2014 auf 550.000 Personen, mehrheitlich aus dem EU-Ausland. Mit der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr verdoppelte sich der Außenwanderungssaldo auf 1,14 Millionen Menschen. Trotz der deutlich gesunkenen Flüchtlingszahl in diesem Jahr – bis Juli 2016 wurden 226.000 neue Asylsuchende registriert – bleibt die Zuwanderung die bestimmende Größe. Dadurch kehrt sich der für die nächsten Jahre angenommene Bevölkerungsverlust in eine leichte Zunahme um. Allerdings geht das BBSR davon aus, dass sich die langfristig prognostizierte Bevölkerungsabnahme damit lediglich verzögert.

Für die nächsten fünf Jahre ergibt sich somit, zusammen mit dem bereits angestauten Neubaudefizit in den Großstädten, ein Neubaubedarf von 350.000 bis 400.000 Wohnungen, vorwiegend im Geschosswohnungsbau. Trotz Residenzpflicht der anerkannten Flüchtlinge dürften sich mit der erhöhten Zuwanderung die sehr unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Räumen noch verstärken. Das heißt, dass die Wachstumsstädte noch stärker an Bevölkerung gewinnen werden.

Immobilienmarkt reagiert auf steigende Nachfrage

Der Immobilienmarkt hat – wenn auch verzögert – auf die steigende Nachfrage reagiert. Die Baugenehmigungen sind seit 2010 um 60 Prozent gestiegen, auf 285.000 Wohneinheiten 2014 und 308.000 im Jahr 2015. Und auch die Baufertigstellungen haben sich vom Tiefpunkt im Jahr 2010 mit knapp 160.000 Wohneinheiten auf 248.000 im letzten Jahr erhöht. Doch stagnieren die Zuwachsraten; die Lücke zwischen Genehmigungen und Fertigstellungen ist deutlich größer als üblich. Ohne die erhöhte Zuwanderung im letzten Jahr hätte der Markt den notwendigen Bedarf bereits weitestgehend gedeckt. Dies gilt selbst für die Wachstumskommunen, auf die 70 Prozent der Baugenehmigungen entfallen. Mittlerweile steigen die Genehmigungszahlen auch in städtischen und ländlichen Kreisen. Denn die Bauherren suchen sich wegen der hohen Preise Alternativen im Umland. Darüber hinaus entstehen mehr Wohnungen in bestehenden Gebäuden durch Dachausbau, Aufstockung oder Wohnungsteilung.

Mittlerweile entfallen 50 Prozent des Neubaus auf Mehrfamilienhäuser. Die Hälfte des Geschosswohnungsbaus sind allerdings Eigentumswohnungen im höherpreisigen Segment. Selbst wenn diese wiederum zu 57 Prozent vermietet werden, gibt es immer noch zu wenig klassischen preisgünstigen Mietwohnungsbau. Auch werden kaum neue Sozialwohnungen gebaut (ca. 15.000 Wohneinheiten im Jahr 2015) und jährlich fallen 60.000 bis 80.000 Wohnungen aus der Bindung. Somit ist und bleibt eine vordringliche Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum für einkommensschwächere Einkommensschichten zu schaffen und zu sichern.

Flexible Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik gefragt

Insgesamt zeigen diese Entwicklungen, wie unsicher und schwer prognostizierbar der Neubaubedarf ist. Da Immobilieninvestitionen sehr langfristig sind, ist eine fundierte Abschätzung zukünftiger Entwicklungen jedoch unverzichtbar. Entscheidend ist auch, dass die lokale Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik den sich ändernden Haushaltsgrößen und Bedürfnissen mit flexiblen und anpassungsfähigen Konzepten begegnet: Vor Ort sollte, entsprechend der Nachfrage, die richtige Mischung aus gefördertem und freifinanziertem Mietwohnungs-, Eigentums- und Eigenheimbau in gemischten Quartieren erfolgen. Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik stehen deshalb derzeit ganz zurecht ganz oben auf der politischen Agenda von Bund, Ländern und Kommunen.

Zum Umgang mit dieser komplexen Situation wurden bereits zahlreiche Handlungsansätze erarbeitet. So zum Beispiel auf Bundesebene vom Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen, oder im Rahmen von zahlreichen Bündnissen von Ländern und Städten. Diese Empfehlungen gilt es nun auch auf die Realität des Wohnungsneubaus anzuwenden und umzusetzen.

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