Stadt in Bewegung – Urbane Transformation und Antworten von Stadt- und Regionalentwicklungspolitik

von Dr. Jürgen Heyer, Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V. 

Grün ist sie laut Trendforschern, entschleunigt und „smart“: Die lebenswerte Stadt der Zukunft. Um dieser Vision zu entsprechen, müssen Städte so einigen Anforderungen entsprechen: Sozial, digital und vernetzt sollen sie sein, kreative Wissensstandorte mit hoher Lebensqualität. Die Herausforderung dabei ist vor allem die Geschwindigkeit, mit der sich Umbrüche und Veränderungen heute vollziehen. Wanderungsbewegungen wie der aktuell massive Flüchtlingszustrom, aber auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbrüche sowie die notwendige Energiewende setzen die Städte unter Zugzwang. Beschleuniger all dieser Entwicklungen ist die Digitalisierung, die unsere Kommunikation, unsere Arbeitsstrukturen, unsere Wirtschaft und Mobilität allein in den letzten acht Jahren seit dem Siegeszug der Smartphones massiv verändert hat. Wie können Städte, Planer, Unternehmer und Bürger mit diesen Transformationen umgehen, ohne sie zu „verschlafen“ bzw. angesichts der Dynamiken „überzureagieren“? Wieviel Planung ist notwendig, und wie viel Flexibilität ist angesichts unserer gebauten Strukturen möglich? Und wo(für) „steht“ die Stadt heute überhaupt? Damit hat sich die Jahrestagung des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung am 1. Oktober 2015 in Stuttgart befasst.

Die Stadt von morgen

Der Trend zur „Urbanisierung“ ist ein weltweites Phänomen, Tendenz steigend: So lebt in den entwickelten Ländern die Mehrheit der Menschen in Städten. Der Soziologe Dr. Frank Ruff von der Daimler AG hat urbane Zukunftsvisionen auf dem ganzen Globus untersucht. Gemein seien ihnen allen die Themen Dezentralität, kompakte Stadtentwicklung und Mobilität für alle, mit einem Fokus auf dem öffentlichen Nahverkehr. Während sich die wachsenden „Megacities“ in Ostasien jedoch in rasendem Tempo entwickeln, sind die Veränderungen in Europa vergleichsweise langsam: Hier liegt der Schwerpunkt auf der Anpassung und Weiterentwicklung bestehender Strukturen.

Stadtentwicklung schon immer mit Wanderung verbunden

Unsere europäische „Trägheit“ wird durch die aktuelle Flüchtlingsthematik momentan allerdings mit Gewalt beschleunigt. Tatsächlich ist die Bevölkerungsentwicklung einer der Hauptimpulsgeber für urbane Transformationen. „Stadtentwicklung ist historisch schon immer mit Bewegung und Wanderung verbunden“, bringt es der baden-württembergische Minister für Verkehr und Infrastruktur Winfried Hermann auf den Punkt. In Deutschland hat dies mehrere Facetten: Die Bevölkerung nimmt durch den demografischen Wandel ab und es gibt eine nach wie vor ungebrochene Wanderungsbewegungen vom Land in die Städte. Ungleich dynamischer verhält es sich mit der Zuwanderung aus dem Ausland: Diese hat sich allein zwischen 2010 und 2014 nahezu vervierfacht und ist mit der Flüchtlingskrise in diesem Jahr noch einmal exponentiell gestiegen: Mehr als 800.000 Flüchtlinge werden bis Dezember für das Jahr 2015 in Deutschland erwartet.

Grundlagen zur Schaffung bezahlbarer Wohnungen verbessern

Langfristig sind viele Städte auf das Arbeitskräftepotenzial der Zuwanderer angewiesen. Zudem erhöht Diversität die Widerstandskraft global vernetzter Gesellschaften, wie der Wiener Zukunftsforscher Andreas Reiter erklärt. Doch bevor sich die Zuwanderung für alle Beteiligten auszahlt, sind unter anderem erhebliche Integrations- und Wohnungsbau-Anstrengungen erforderlich. Neben der aktuellen Herausforderung, Notunterkünfte zu schaffen und den Grundstein für eine schnelle Eingliederung in Ausbildung und Arbeit zu legen, verstärkt das große Plus an Menschen in den Ballungsgebieten den Kampf um günstigen Wohnraum. Hinzu kommt, dass die Pro-Kopf-Wohnfläche stetig weiter steigt, bis 2030 soll sie bei 47 Quadratmetern liegen. Um all dem zu begegnen, sind deutlich mehr Neubauflächen notwendig. Wegen des hohen Neubaubedarfs dürfen wir keine zu restriktive Siedlungsflächenpolitik betreiben und müssen neben der nach wie vor priorisierten Innenentwicklung auch eine maßvolle Außenentwicklung ermöglichen. Zu überlegen ist zudem, ob der Wohnungsbau angesichts dieser Situation nicht wieder als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern betrieben werden sollte. Dafür müsste die Föderalismusreform von 2006 teilweise rückgängig gemacht werden.

Gesellschaftlicher Wandel durch Digitalisierung und technischen Fortschritt

Doch die Zuwanderung ist nur eine, wenn auch sehr bedeutsame Facette des gesellschaftlichen Wandels, der unsere Städte beeinflusst. Auch die Digitalisierung wirkt sich als Querschnittsthema entscheidend auf die Art und Weise aus, wie wir leben, arbeiten, produzieren und uns fortbewegen. „Zugang (zum Internet, zu Dienstleistungen) übertrumpft Eigentum“, erklärt Dr. Ruff. Die Folgen sind vielfältig. Dabei beeinflussen sich Wohnen, Arbeiten und Mobilität durch wechselseitige Abhängigkeiten gegenseitig: In der Wirtschaft nimmt die Tendenz zur „Sharing Economy“ zu, auf die Phase der De-Industrialisierung folgt nun die Virtualisierung mit ihren Möglichkeiten der mobilen Arbeit. Wie Reiter erklärt, sind die Menschen so nicht mehr an ihr Büro und feste Arbeitszeiten gebunden. Als Arbeitsmodelle gewinnen zudem Teilzeit und Zeitarbeit an Bedeutung. Mobilität wird dadurch noch wichtiger, die Modelle der Fortbewegung vielfältiger. Hier gilt es, PKW- und Nahverkehr besser mit dem Fuß- und Radverkehr zu verbinden, Technologien für Car- und Bike Sharing weiterzuentwickeln und die digitalen Angebote zur Verknüpfung aller Verkehrsträger intelligent zu nutzen. Auch im Rahmen der Energiewende spielt digitale Gebäudetechnik und deren Weiterentwicklung eine bedeutende Rolle. Beim Bau sollten „smarte“ Lösungen für Energieeffizienz und klimafreundliche Energieversorgung mitgedacht werden. Aber auch die Verbindungen mit Gebäuden und Infrastrukturen in der Nachbarschaft sind entscheidend.

Mehr Zusammenarbeit, mehr Mitsprache, mehr Verantwortung

Die große Komplexität der gegenwärtigen Stadtentwicklungsfragen kann nur bewältigt werden, wenn alle beteiligten Gruppen gemeinsam an langfristigen Visionen arbeiten, die über bloße Bauleitpläne hinausgehen. Laut Werner Spec, dem Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg, gilt es dabei, die Organisationsgrundlagen in den Stadtverwaltungen zu verändern und interdisziplinäre Ansätze zu ermöglichen. So entstehe ein wichtiger Hebel, um Kooperationen mit großen Unternehmen sowie mit Wissenschaft und Forschung einzugehen. Ludwigsburg hat damit in seinem „Living Lab“ gute Erfahrungen gemacht. „Es wurde förmlich ein Schub in der Stadt ausgelöst“, so Spec. Auch die Bürgerbeteiligung sei mitgedacht worden.

Denn obwohl der technische Fortschritt eine wichtige Rolle bei urbanen Transformationsprozessen spielt, ist es doch der Mensch, der sie nutzt, und der im Mittelpunkt aller Entwicklungen stehen sollte. Die Städter legen heute mehr Wert auf urbane Lebensqualität und Freizeit und gestalten ihr Umfeld aktiv durch politische und lokale Aktivitäten mit. Der Wunsch nach Grünflächen, Entschleunigung, Kreativität und Aneignung zeigt sich in Urban Gardening-Projekten genauso wie in konsumfreien Zonen oder dem Vormarsch „langsamer“, grüner Fortbewegung per pedes oder auf dem Fahrrad. „Transformationsprozesse müssen in den Köpfen der Menschen angestoßen werden“, meint auch Minister Hermann. Dazu zähle allerdings nicht nur das Mitreden und das Mitentscheiden, sondern „auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – nicht nur im eigenen Haus, sondern auch im Quartier und in der Stadt.“

Weitere Informationen zur Jahrestagung 2015

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