Stadtentwicklung im Konsens? Bürgerbeteiligung im Spannungsfeld

Von Prof. Dipl.-Ing. Elke Pahl-Weber

Immobilien- und Stadtentwicklungsvorhaben - vor allem in Nachbarschaft zu Wohngebieten -  mussten sich zuletzt immer häufiger mit teils vehementen Widerständen aus Teilen der Bevölkerung auseinandersetzen. Prominentestes Beispiel ist der Volksentscheid gegen die Teilbebauung und Entwicklung des Tempelhofer Feldes in Berlin. Daneben gibt es aber in Berlin und in vielen weiteren großen und kleineren Städten ähnliche kritische Bewegungen gegen größere Bauprojekte. Anwohner befürchten durch die Aufwertung der Nachbarschaft und steigende Mieten verdrängt zu werden. Und auch baubedingte Beeinträchtigungen oder der Verlust von Freiflächen rufen regelmäßig Gegner auf den Plan. Gleichzeitig brauchen wir in den dynamischen Stadtregionen mit angespannten Wohnungsmärkten dringend mehr Wohnungsneubau für die wachsende Bevölkerung. Von einem positiv wahrgenommenen „Neubauklima“ ist in der breiten Stadtbevölkerung jedoch nicht viel zu spüren. Vielmehr sind Planungen und selbst die Umsetzung bereits beschlossener Projekte oft gefährdet, weil die Kommunalpolitik „einknickt“, wenn die Proteste der Bevölkerung zu laut werden.

Rolle der Bürgerbeteiligung

Welche Rolle kann Bürgerbeteiligung angesichts dieser scheinbar widersprüchlichen Situation spielen? Wie lassen sich alle Gruppen und Anliegen einbeziehen und welche Verfahren sind sinnvoll? Bei vielen Vorhaben der integrierten Stadterneuerung ist Bürgerbeteiligung längst anerkannt und etabliert. Doch hier geht es meist um die informelle Mitwirkung der Bewohner bei der Ausweitung lokaler Angebote und der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Auch in der klassischen Bauleitplanung ist die Beteiligung gesetzlich verankert, erweist sich allerdings als strukturkonservativ und ist meist „weit weg“ vom Bürger. Noch wenig verbreitet sind intensivere Beteiligungsprozesse bei größeren Neubauprojekten von Projektentwicklern, Bauträgern und Wohnungsbauunternehmen im bewohnten und bebauten städtischen Bereich, die Menschen aber unmittelbar betreffen. Erste Mediationsverfahren zeigen, wie Konfliktlösung durch Mediation erfolgen kann. Aber muss erst der Streit aufflammen, um geschlichtet zu werden? Müssen die beteiligten Gruppen erst in einem Mediationsverfahren Vereinbarungen treffen?

Bürgerbeteiligung ist kein Wunschkonzert

Partizipation, darunter wird  in erster Linie verstanden, dass verschiedene Interessen und Vorstellungen gesammelt, strukturiert und abgewogen werden, um eine endgültige Planungsvariante festzulegen. Bürgerbeteiligung darf dabei nicht mit einem Wunschkonzert verwechselt  werden; ihre Stärke liegt vielmehr in der konstruktiven aber auch kontroversen Diskussion um verschiedene Lösungen. Bürgerentscheide können hier bei manchen stadtentwicklungspolitischen Fragen eher stören als gute Lösungen herbeiführen. Sie werden als Konsensentscheidung zur Befriedung strittiger Vorhaben gehandelt. In der Realität geht der Konflikt jedoch häufig weiter. Außerdem erfordern solche Entscheide eine „Ja-Nein-Entscheidung“, die der Komplexität der Stadtentwicklung kaum gerecht wird. Insoweit ist vielleicht Partizipation ebensowenig wie Beteiligung das richtige Verständnis von dem, was bei der Transformation der gebauten Stadt erfolgt. Denn diese besteht unzweifelhaft nicht nur aus Gebäuden und Infrastrukturen, sondern eben auch aus den dort lebenden und arbeitenden Menschen. Es geht also tatsächlich um kooperative Stadtentwicklung, die offen sein sollte für alle Gruppen.

"Den Bürger" gibt es  nicht

Dabei gilt es im Blick zu haben, dass es aufgrund unserer sich immer stärker ausdifferenzierenden Gesellschaft „die Bürger“ heute keine homogene Einheit bilden. So viele verschiedene Milieus, Lebensstilgruppen, Lebensentwürfe, Haushaltstypen es gibt, so viele verschiedene Anliegen und Ansprüche lassen sich formulieren. Mit dem steigenden Anteil älterer Menschen, die sich anders noch als frühere Generationen aktiv einmischen wollen, wächst zudem der Wunsch nach Bestandssicherung und Bewahrung und damit die Ablehnung größerer städtebauliche Transformationen. Junge Menschen dagegen nehmen demokratische Prozesse häufig als langwierig, intransparent und ohne wirkliche Gestaltungsmöglichkeiten wahr. Und eine „schweigende Mehrheit“, insbesondere Migranten, fühlt sich erst gar nicht angesprochen. Um eine „Elitedemokratie“ zu vermeiden und einen breiten Konsens zu schaffen, sollten auch jene Gruppen angehört werden, die sich nicht so lautstark zu Wort melden. In einem breiten Beteiligungsprozess müssen diese Gruppen sogar dabei unterstützt werden, sich einzubringen.

Mitwirkungsprozesse lohnen sich

Trotz Aufwand rechnet sich die kooperative Stadtentwicklung: Kommunen haben die Möglichkeit, sie über städtebauliche Verträge zu finanzieren, für Investoren bedeuten sie eine größere Planungssicherheit. Das Risiko eines Projektabbruchs wird deutlich vermindert. Und entgegen vieler Vorurteile können in der Praxis die Planungsprozesse beschleunigt werden, da die Projekte am Ende von einer Mehrheit mitgetragen werden und sich weitere Verzögerungen in der Realisierung vermeiden lassen. Auch können Mitwirkungsprozesse anfängliche Gegner des Vorhabens „mitnehmen“ oder aber isolieren, wenn die Mehrheit anderer Meinung ist.

Jedenfalls wird bei einer breiten Verständigung auf eine Planungsvariante jeder erkennen, dass mal die einen, mal die anderen Interessen stärker sind. Denn Verständigung kann nicht heißen, dass sich jeder mit seinen (unterschiedlichen) Interessen ohne Bewegung auf einen Konsens hin durchsetzen kann. Und schließlich können Investoren enorm durch kreative weitere Ideen profitieren, die bisherige Planungen verbessern und zu einer höheren Qualität und Nachhaltigkeit der Vorhaben führen. Ist z. B. noch nicht klar, was genau auf einer Brachfläche entwickelt werden soll, können wertvolle Vorschläge gesammelt oder bestehende Vorstellungen kritisch überprüft werden.

Beteiligungsformat an Vorhaben anpassen

Für die erfolgreiche Gestaltung kommt es auf zwei Dinge an: auf das passende Verfahren und auf die Rückkopplung in die Politik. Kooperative Stadtentwicklung sollte im  Format auf das jeweilige Vorhaben angepasst werden. Hier können z. B. auch niedrigschwellige Angebote wie Feste, Wettbewerbe oder Tage der offenen Tür zum Einsatz kommen. Alle eingehenden Ideen sollten ernst genommen, geprüft, abgewogen und bewahrt werden, selbst wenn nicht alle realisiert werden können. Wichtig ist es zudem, die Rahmenbedingungen offen und frühzeitig zu kommunizieren, Grenzen klar zu machen und unrealistische Vorstellungen zu entkräften.

Klare Entscheidungen der Politik notwendig - auch bei umstrittenen Themen

Letztlich kommt es aber darauf an, dass die Politik ihre Steuerungs- und Entscheidungsfunktion wahrnimmt und kontroversen Debatten mit der Bevölkerung im Rahmen der Beteiligung nicht ausweicht. Die Gemeinde- und Stadträte sollten die Ergebnisse der Beteiligungsprozesse aufgreifen und auf dieser Basis klare Entscheidungen treffen, selbst wenn es nach wie vor einzelne Gegner gibt. Gerade kurz vor den Wahlen scheuen Politiker jedoch umstrittene und unpopuläre Entscheidungen und nehmen dann die notwendige Führungsfunktion nicht wahr.

Thesenpapier

Der Deutsche Verband hat auf Basis der Diskussionen seiner Arbeitsgruppe Städtebau/Raumordnung ein Thesenpapier erarbeitet, das Voraussetzungen und Verfahren für eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung zusammenfasst.