Sofortprogramm Klimaschutz praxisnah, räumlich integriert und sektorenübergreifend ausgestalten

Von Werner Spec, ehemaliger Oberbürgermeister von Ludwigsburg und Leiter der AG Energie

Nach dem „Osterpaket“ des Klimaschutz-Sofortprogramms wartet die Fachwelt mit Spannung auf das angekündigte „Sommerpaket“. Bereits in seiner Eröffnungsbilanz machte Klimaschutzminister Habeck deutlich, welch enorme Anstrengungen auch im Gebäudebereich notwendig sind, um in den nächsten acht Jahren so viel CO2 einzusparen wie von 1990 bis heute. Dafür will das Sofortprogramm ein gewaltiges Werk mit vielfältigen Weiterentwicklungen des Rechts- und Förderrahmens in der Breite verankern. Zum Teil entsprechen diese den Empfehlungen des Runden Tisches Klimaschutz im Gebäudebestand des DV. Allerdings basieren einige der avisierten Maßnahmen im Gebäudebestand noch zu stark auf Top-Down-Modellstudien mit theoretischen Annahmen, die viele faktische Hemmnisse außer Acht lassen.

Um die richtigerweise ambitionierten Klimaziele nicht erneut zu verfehlen, braucht es neben den vorrangig vorgesehenen einzelgebäudebezogenen Anstrengungen vor allem flexible und sektorübergreifende Quartierslösungen. Letztlich müssen die Klimaziele vor Ort wirksam und gleichzeitig so sozialverträglich und wirtschaftlich tragfähig wie möglich erreicht werden können. Es ist nicht nachvollziehbar, dass immer noch ausgeblendet wird, dass nicht jedes Bestandsgebäude maximal energetisch saniert werden kann - aus Gründen der Baukultur, wegen unvertretbar hoher Grenzkosten im Vergleich zu relativ wenig zusätzlichen CO2-Einsparungen, aber begrenzter Personalkapazitäten und Baumaterialien. Auch dass der Ausbau der Transportkapazitäten für erneuerbaren Strom aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen  derzeit nicht im notwendigen Tempo umgesetzt werden kann, wird zu sehr vernachlässigt.

Das Gebot der Stunde, auch mit Blick auf den von Russland angezettelten Krieg mit der Ukraine ist es, das Machbare möglichst schnell zu erreichen und die Latte nicht zu hoch zu legen. Bezieht man die Kostenentwicklung mit ein, dann steigen die Bau- und Sanierungskosten rasant weiter an, während die Kosten für erneuerbare Energien aufgrund von Skalierungseffekten tendenziell günstiger werden.

Transformation der Wärmeversorgung

Unbestritten ist, dass künftig Wärmepumpen für Einzelgebäude eine bevorzugte Zukunftslösung sein werden. In verdichteten urbanen Räumen und überall dort, wo aufgrund der Wahrung des baukulturellen Erbes oder anderen Hemmnissen keine maximalen energetischen Sanierungen möglich sind, werden zunehmend klimaneutrale Wärmenetze der entscheidende Hebel sein. Jetzt kommt es darauf an, die Kommunen in enger Zusammenarbeit mit den Energieversorgern und breiter Beteiligung der Akteure den notwendigen Ausbau der Wärmenetze und den Transformationspfad für bestehende Netze zielstrebig und verlässlich planen, um für die anstehenden Investitionen den notwendigen Orientierungsrahmen zu schaffen. Wir begrüßen deshalb die vorgesehene gesetzliche Verpflichtung der Kommunen für eine verbindliche Wärme- und Energieplanung. Natürlich müssen die Kommunen dafür mit den notwendigen finanziellen Ressourcen durch Bund-Länder-Vereinbarungen ausgestattet werden.

Für die klimaneutrale Wärmeerzeugung braucht es aber auch einen flexiblen und verlässlichen Rechts- und Förderrahmen des Gesetzgebers. Dieser betrachtet die verschiedenen Sektoren dabei immer noch zu sehr getrennt voneinander und gibt einen viel zu einengenden Rahmen vor. Dies zeigt sich beispielsweise an den komplizierten Mieterstromregelungen, die verhindern das große Potential vorhandener Dachflächen umfassend zu nutzen. Richtig ist, dass vorhandene Abwärme noch wesentlich umfassender als bislang genutzt werden sollte. Aber auch sinnvolle Biomassepotentiale sollten nicht zu sehr eingeengt werden. Zu wenig Berücksichtigung findet schließlich, dass nicht nur die bisherige Wärme aus der Stromerzeugung in Blockheizkraftwerken genutzt werden sollte, sondern auch Wärme aus der Erzeugung von grünem Wasserstoff in Elektrolyseuren und aus der für die Sicherheit der Stromversorgung unerlässlichen Rückverstromung in Blockheizkraftwerken.

Wir werden zwar absehbar ohne Import großer Mengen an grünem Wasserstoff nicht auskommen. Dennoch sollten wir dessen Markthochlauf im Inland stärker als bislang durch große, aber auch viele dezentrale kleinere und mittlere Elektrolyseanlagen in den Städten oder am Stadtrand beschleunigen. Integrierte Quartierskonzepte ermöglichen die klimaneutrale Versorgung von Wasserstofftankstellen ebenso wie die Einspeisung ins Gasnetz als Speicher und die Hebung des Abfallprodukts der Prozesswärme für klimaneutrale Wärmenetze. Die Nutzungsvorgaben erneuerbaren Stroms für die unverzichtbare Erzeugung von grünem Wasserstoff behindert den Markthochlauf im bisherigen Rechtsrahmen, anstelle diesen voranzubringen und damit auch die schnellere Unabhängigkeit von russischem Erdgas zu beschleunigen.

Endlich realistische Renovierungswelle zu optimalen Effizienzstandards

Der Wunsch nach schnellen und hohen Energieeinsparungen im Gebäudebestand ist richtig und notwendig, muss aber auch in Zusammenhang mit den Möglichkeiten und Grenzen der Eigentümer:innen und der Baupraxis angegangen werden. Ein Transformationspfad zu einem klimaneutralen Gebäudebestand, muss die bei der Gebäudesanierung weiterhin ineinandergreifende Teilschritte und -maßnahmen anerkennen und sie, z. B. auf Grundlage weiter verbesserter perspektivischer Sanierungsfahrpläne, stärker fördern. Nicht jedes Gebäude ist sinnvoll auf KfW Effizienzhaus 55 oder gar 40 Standard zu modernisieren – effektiver wäre es, so viele Gebäude wie möglich niedertemperaturfähig zu gestalten und den Wärmebedarf ganz individuell möglichst stark zu reduzieren. Deshalb sollte die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) auch für die Effizienzhaus-Standards 70 und 100 sowie die Förderung von Einzelmaßnahmen mit den bisherigen Wärmeschutzanforderungen beibehalten werden.

Eine zentrale Neuerung ist, dass ab 2024 bei einem Heizungsaustausch 65 Prozent erneuerbare Energien erreicht werden müssen. Dies ist jedoch nur mit dem Einsatz von Wärmepumpen, Biomasse oder Hybridanlagen möglich - Solaranlagen auf dem Dach erreichen allein maximal 25 bis 30 Prozent. Für eine systemdienliche Wärmewende brauchen wir aber einen Technologiemix zusammen mit dem Ausbau und Umbau der Wärmenetze mit mehr angeschlossenen Nutzer:innen. Diese Nutzer:innen erreichen zwar nicht sofort einen 65-prozentigen Anteil erneuerbarer Energien, begeben sich aber über die Wärmeplanung auf einen klaren Transformationspfad. Flankierende Sonder- und Übergangsregelungen müssen deshalb gewährleisten, dass ein Anschluss an die Wärmenetze möglich bleibt. Darüber hinaus bedarf es einer Reihe von Ausnahme- und Härtefallregelungen, z. B. bei besonderen Konstellationen aus unsaniertem Gebäudezustand, alten Eigentümer:innen und fehlender längerfristiger Weiternutzungsperspektive in Regionen mit viel Leerstand. Das gleiche gilt für Wohneigentümergemeinschaften mit Gasetagenheizungen, für die kurzfristig eine erneuerbare Alternative weder ökonomisch, praktisch noch organisatorisch machbar ist.

Mehr Ressourcen für Beratung und Begleitung von Einzeleigentümer:innen

Ausschlaggebend für eine flächendeckende Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen bleibt die Beratung und Begleitung der Einzeleigentümer:innen, um ihnen bei den derzeit wachsenden technologischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten zur Seite zu stehen, wenn es darum geht zu entscheiden, welche Investitionen mit welcher Priorität und in welcher zeitlichen Abfolge angegangen werden sollen. Hierfür braucht es weit mehr Ressourcen als bisher, insbesondere mehr Energieberater:innen und mehr qualifiziertes Bauhandwerk. Es ist unverständlich, dass dieser wichtige Handlungsbereich im derzeitigen Entwurf des Sofortprogramms bislang stark unterbelichtet ist. Denn dieser ist besonders relevant für den überwiegend kleinteiligen Gebäudebestand mit zumeist nicht-professionellen Immobilieneigentümer:innen, der 80 Prozent aller gut 40 Millionen Wohnungen in Deutschland, sowie 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser ausmacht. Für die erwünschte Sanierungsdynamik ist es unverzichtbar, die Anstrengungen für die Mobilisierung, Beratung und Begleitung dieser Eigentümer:innen massiv auszuweiten. Dies muss vor Ort in den Kommunen und auch mit individuellen Herangehensweisen in den Quartieren erfolgen, die durch differenzierte soziodemographische und -ökonomische Eigentümer:innen- und Bewohner:innenstrukturen und unterschiedliche Bautypologien und Siedlungsstrukturen gekennzeichnet sind. Ebenso wichtig ist in diesem Zusammenhang eine massive Qualifizierungs-, Weiterbildungs- und Kapazitätsausbauoffensive im Bauhandwerk die alle relevanten Themen abdeckt, nicht nur das Thema Wärmepumpe.

Empfehlungen zum geplanten Sofortprogramm Klimaschutz

Die AG Energie des DV hat unter der Leitung von Werner Spec Empfehlungen zum Entwurf des Sofortprogramms Klimaschutz des Bundes erarbeitet.

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