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Ideen von den Kommunen, Unterstützung von Land und Bund – wie eine gestärkte Raumordnung funktionieren kann

Von Michael Groschek, Staatsminister a.D., Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung

Die meisten Menschen in Deutschland leben in Klein- und Mittelstädten sowie im ländlichen Raum. Eine starke Raumordnung, eine gleichwertige Entwicklung dieser Orte sowie das Ausschöpfen ihres Potenzials für den Wohnungsmarkt und die Daseinsvorsorge sind dementsprechend schon lange Leitbild. Doch das reicht nicht aus: Damit sich diese Vision vor Ort tatsächlich manifestiert, muss die Raumordnung wieder mehr in den Fokus der Politik rücken. Zu diesem Ergebnis kamen die Teilnehmer:innen unserer Jahrestagung „Stadt – Land – Region: Strategien für gleichwertige Entwicklung jenseits der Schwarmstädte“ am 28. September 2022 in Berlin. Als Schlüssel für einen Erfolg wurden dabei die fünf „i“s der Raumordnung ausgemacht: Infrastruktur, interkommunale Zusammenarbeit, individualisierte Maßnahmen, Innovation sowie integriertes Arbeiten. Wenn man Menschen keine Perspektive bietet, beginnt die „Vertrostlosung“: Die Menschen ziehen sich dann zurück, Dialog findet kaum noch statt. Unsere Zielmarke sollte deshalb sein: Wohnen folgt der Infrastruktur, nicht umgekehrt. Hier müssen wir die Politik vom Kopf auf die Füße stellen. Gleichzeitig ist es aber auch an den Klein- und Mittelstadtstädten, ihre Hausaufgaben zu machen und einen Generations- und Mentalitätswandel in den Ämtern einzuleiten. Sie müssen einer innovativen Verwaltungskultur den Vorzug geben, die zum verantwortungsvollen Mitmachen einlädt, um junge, engagierte Menschen zu halten. Probleme wie demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Verkehrsanbindung und Daseinsvorsorge können durch interkommunale und regionale Zusammenarbeit, individuelle, orchestrierte Förderung und Ressourcen sowie Flexibilität für und Vertrauen in die kommunalen Kompetenzen am besten bewältigt werden.

Krisen als „Game Changer“

Politik und Wissenschaft sind sich einig: Digitalisierung, Demografie, Dekarbonisierung und Klimaanpassung sowie Energie- und Mobilitätswende sind entscheidende Faktoren für die Zukunftsfähigkeit von ländlichen Räumen, wie etwa Christian Kühn, betonte, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium: So könnten neue Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen im ländlichen Raum zu neuen Arbeitsplätzen führen, die Arbeit im Homeoffice ermöglicht ein Arbeiten und Leben am gleichen Ort. Krisen – seien es nun die Finanzkrise, Klimakatastrophen, Corona, klamme Haushalte oder der Ukrainekrieg – fungieren dabei als „Game Changer“ und Katalysatoren, die neue Trends – etwa die Bedeutung der Energiesicherheit oder mobiles Arbeiten – drastisch beschleunigen. Doch neben Resilienz und Innovation darf auch die klassische Daseinsvorsorge nicht aus dem Blick geraten: „Bleibefaktoren für Menschen im ländlichen Raum sind nicht Windräder, sondern Ärzte, Geschäfte, Schulen, Altenheime“, so Prof. Gabi Tröger-Weiß von der TU Kaiserslautern.

Vielfältigkeit berücksichtigen

Klar wurde auch: „Der“ ländliche Raum existiert nicht. Es gibt strukturschwache Mittelstädte, Kleinstädte im Speckgürtel boomender Großstädte, landwirtschaftlich oder touristisch geprägte Regionen, Räume mit hoher wirtschaftlicher Dynamik und zahlreichen „Hidden Champions“, aber auch Grenz- und Schrumpfungsregionen und -gemeinden etc. Standortmarketing sollte deshalb ganz oben auf der Agenda stehen. Städte und Gemeinden müssen ihre Stärken und Schwächen, ihre „Begabung“ kennen, auf für sie zukunftsweisende Branchen setzen und technologieoffen bleiben. In manchen Regionen hat es der ländliche Raum gar einfacher als die Kleinstädte: Während Großstädter bewusst auf ehemalige Gehöfte ziehen, um das pure „Landleben“ zu genießen und sich selbst zu verwirklichen, sterben die Zentren mancher Kleinstädte aus, weil es außer einer Dönerbude, einem Supermarkt und einem Bäcker kaum noch Läden, Restaurants oder Geschäfte gibt und die bestehenden Gebäude z. B. wegen Denkmalschutz im Umbau beschränkt sind, erzählt Tanja Blankenburg vom Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern. Entscheidend ist deshalb ein flexibles Förderinstrumentarium für Kommunen, das nicht nach dem Gießkannenprinzip funktioniert, sondern sich auf die Herausforderungen der Gemeinden anpassen lässt. Gleichzeitig geht es auch darum, vorhandene Ressourcen – finanzielle, aber z. B. auch personelle, etwa im Bereich Ehrenamt – zu orchestrieren und an die richtigen Stellen zu verteilen.

Wohnen im ländlichen Raum

Lena Brune von der GEWOS machte deutlich: Viele Regionen im Umland von Großstädten mit Wachstumsdruck wie etwa Berlin, München oder auch Gießen, verzeichnen in den letzten zehn Jahren eine positive Bevölkerungsentwicklung, gleichzeitig steigen aber auch die Bodenpreise, da das Umland mittlerweile häufig eine höhere Bautätigkeit aufweist als die Stadt selbst. In Hessen hat die Landesregierung die Initiative „Frankfurter Bogen“ aufgelegt, bei der rund um die Metropole schwierig zu entwickelnde Flächen mobilisiert wurden, um 250.000 neue Wohnungen zu schaffen. Über Machbarkeitsstudien, Sonderkonditionen bei der Wohnraum- und Städtebauförderung sowie extra Zuschüsse für den Ausbau von Kitas und Schulen werden nun Kommunen dafür gewonnen, die Flächenpotenziale zu entwickeln. Im Vorfeld dazu gab es Baudialoge und vorbereitende Arbeiten, erzählt Monika Fontaine-Kretschmer, Geschäftsführerin der Nassauischen Heimstätte/Wohnstadt. Als ein Problem in der anschließenden Diskussion wurde die Tatsache diskutiert, dass Menschen in Klein- und Mittelstädten nach wie vor mit Abstand das Einfamilienhaus im Grünen priorisieren, während Wohnhäuser ab drei Geschossen bereits als „Hochhäuser“ angesehen werden, mit denen man sich vermeintlich soziale Probleme importiert. Gleichzeitig sind auch die Gemeinden viel eher dazu bereit, Bauland auszuweisen, um Einwohner:innen zu halten. Hier gilt es, künftig Innenentwicklungspotenziale in den Fokus zu rücken – auch mit Hilfe der Landesregierungen. Christian Kühn machte deutlich: „Wir brauchen für Nachhaltigkeit einen anderen Umgang mit Fläche. Die doppelte Innenentwicklung ist ein planerisches Instrument dafür. Wohnungsbau gehört auch ins Dorf, damit die jungen Leute nicht weggehen.“

Interkommunal zusammenarbeiten

Um Klein- und Mittelstädte sowie den ländlichen Raum zu stärken ist auch in der Administration ein Umdenken angesagt. Es gilt, die Transformation zu managen – und das in absehbarer Zeit. Denn gerade bei der Digitalisierung kann sich Deutschland kein „Weiter-so“ mehr leisten. Als Entwicklungsmotoren könnten sogenannte „Regiopole“ dienen, die Ziele und Kapazitäten verschiedener Gemeinden bündeln und Netzwerke in den Bereichen Wirtschaft, Infrastrukturen, Bildung etc. etablieren. Wie so etwas funktionieren kann, erzählte Annette Nothnagel, die die Regionale 2022 in Ostwestfalen-Lippe (OWL) leitet. Bei der Zusammenarbeit der Gemeinden in der Region wurden zahlreiche Themen gemeinsam angegangen, etwa im Bereich stärker gemischte Ortskerne, Wohnen, Orte der Begegnung oder Mobilität. Dabei entstand eine Kooperationskultur jenseits der administrativen Strukturen, die auch nach der Regionale weitergeführt werden soll.

Fördern aber nicht überfordern

Andreas Marggraf, Bürgermeister der Gemeinde Mücheln in Sachsen-Anhalt, plädierte für mehr Vertrauen in die Kommunalverwaltungen: Diese seien nah an den Bürger:innen und ihren Bedürfnissen, ihnen müsse in gewissen Bereichen mehr Freiraum zugestanden werden – etwa wenn es um die notwendige Wohnbebauung von Brachen in Ortsteilen geht, die nicht zu den „Zentralen Orten“ zählen. Bei anderen Bereichen, etwa wenn es um die digitale Ausstattung von Schulen im Rahmen des Länderprogramms Digitalpakt Schule geht, wünscht er sich dagegen mehr Vorgaben vom Land – hier seien die Kommunen überfordert, da IT-Personal Mangelware ist. Hilfreich, so ergab die Diskussion, sind in diesem Zusammenhang Netzwerke wie die Kleinstadtakademie, aber auch Programme für sogenannte „Dorfmoderatoren“, die Kommunen bei Transformations- und Management-Prozessen unterstützen und als Mediatoren und Kümmerer agieren.

„Neue Ideen müssen vor Ort in den Kommunen entstehen. Dafür müssen Land und Bund den Boden bereiten und eine Vervielfältigung in anderen Orten ermöglichen – mit dem Wissen, dass es eine ganze Weile dauern kann, bis sich so etwas in der Fläche ausbreitet“, fasste Peter Dehne, Professor für Planungs- und Baurecht an der Hochschule Neubrandenburg, zusammen. Der DV wird sich für eine gestärkte Raumordnung einsetzen und bietet sich als Plattform an, um den Dialog fortzuführen.

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