Wir brauchen dringend Entlastungswohnungsbau

von Michael Groschek, Staatsminister a.D., Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V.

22. Februar 2023. Der Wohnungsneubau steht vor immensen Aufgaben: Kapazitätsengpässe, Fachkräftemangel, Bauflächenknappheit und zahlreiche Zielkonflikte verhindern, dass rasch ausreichend bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden kann. Zudem führen ein Zinsanstieg um das Drei- bis Vierfache sowie die stark erhöhten Baukosten mittlerweile zu erforderlichen Neubaumieten von etwa 20 Euro. Das schreckt viele Marktakteure ab. In der Konsequenz bricht der Start von Neubauprojekten ein. Vielfach werden lediglich begonnene Vorhaben zu Ende geführt. Die hohen Bauüberhänge steigen weiter. In Zahlen drückt sich dieser Effekt erst zeitverzögert aus. Doch das ist trügerisch. Das von der Bundesregierung ausgerufene Neubauziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr ist längst in weite Ferne gerückt. Dabei reicht der Neubau bereits heute nicht aus, um Wohnraumengpässe in Wachstumsregionen auszugleichen. Denn das Bevölkerungswachstum verzeichnet im Jahr 2022 mit den ukrainischen Flüchtlingen einen weiteren Höchststand. Ein beherztes Gegensteuern mit kurzfristigen Ausnahmeregelungen ist nötig!

Fertigstellungsprämie einführen

Das Bundesbauministerium hat mit dem „Bündnis bezahlbarer Wohnraumrichtungsweisende Maßnahmen entwickelt, die zentrale Rahmenbedingungen verbessern können. Sie müssen mit Priorität auf Baukostensenkung, Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsprozessen sowie Mobilisierung von Bauland umgehend und umfassend umgesetzt werden. Doch selbst damit würden die akuten Hemmnisse erst zeitverzögert beseitigt. Wir benötigen geeignete Sofortmaßnahmen, um über Ausnahmeregelungen schnell Entlastungswohnungsbau auf den Weg zu bringen. Nach der stark reduzierten KfW-Neubauförderung könnte eine Fertigstellungsprämie baureife Projekte mit Eigenkapital unterstützen, deren Finanzierung wegen gestiegener Baukosten und Zinsen nicht mehr gesichert ist. So lassen sich die immens aufgewachsenen Bauüberhänge mobilisieren. Einzelnen Bundesländern agieren durch Anpassungen bei der Wohnraumförderung bereits in diese Richtung.

Ausnahmeregelung im Bauvertrags- und Bauordnungsrecht

Darüber hinaus müssen wir endlich beherzt an die unverhältnismäßig gestiegenen bautechnischen Normen und Standards ran. Sowohl Bauordnungs- und Bauvertragsrecht als auch die Wohnraumförderung nutzen den überambitionierten „Stand der Technik“ als Grundlage, obwohl dieser für berechtigte Qualitäts- und Schutzansprüche für Lärm- und Brandschutz oder Statik nicht immer zwingend notwendig ist. Wir benötigen eine befristete Ausnahmeregelung im Bauvertrags- und Bauordnungsrecht, die kundigen Bauherren, Architekten und Bauunternehmen eine rechts- und haftungssichere Möglichkeit bietet, auch abweichend von geltenden technischen Standards und Normen innovative bauliche Lösungen zu finden, die Schutzansprüche mit geringeren Baustandards und damit Kosten vereinen. Dies greift die Überlegungen von Architektenkammern und Bund Deutscher Architekten zur Einführung eines Gebäudetyps E auf (einfach, effizient, erschwinglich, entlastend). Für ein solches Moratorium ist es in einem ersten Schritt wichtig, die Unsicherheiten beim Abweichen von bautechnischen Normen und Standards im Bereich Haftung, Gewährleistung und Versicherung durch eine Öffnungsklausel im Bauvertragsrecht zu beseitigen. Darauf aufbauend sollte die Musterbauordnung der Länder reformiert werden. Zugleich sollte eine notwendige „Umbauordnung“ geschaffen werden, da viel zusätzlicher Wohnraum im Bestand geschaffen werden kann. Dem stehen die derzeitigen bautechnischen Normen und Standards allerdings oft noch entgegen.  

Flächen im Innenbereich aktivieren

Um bebaubare Flächen im Innenbereich zügig zu aktivieren, sollte das vorhandene bauplanungs- und städtebaurechtliche Instrumentarium konsequent praktiziert werden. Außerdem sind dafür rechtsichere, zügig und einfach anzuwendende Ausnahmen und Flexibilitäten notwendig: Zum einen für die Umwidmung von Flächen zu Wohnzwecken, zum anderen für die stärkere Nachverdichtung bebaubarer Flächen, die mit geringen Dichten in den Bebauungsplänen bzw. im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) „gewidmet“ sind. Solche weitergehenden Ausnahmen gilt es in die anstehende Novelle des Bauplanungsrechts (BauGB und BauNVO) zu überführen. Schließlich ist die Erfassung von rasch bebaubaren Flächenpotenzialen in digitalen Potenzial- und Brachflächenkataster wichtig.

Sofortmaßnahmen für "Entlastungswohnungsbau"

Angesichts der aktuellen Situation hat der DV am 20. Februar 2023 ein Diskussionspapier zum Lösen der Baubremse durch temporäre Ausnahmen verabschiedet. Das Papier finden Sie hier.

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© Heike Mages, DV