Von Michael Groschek, Staatsminister a. D., Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung
Berlin, 24. Juli 2024. Mitte vergangener Woche hat die Bundesbauministerin Klara Geywitz Leitlinien für ein einfacheres und kostengünstigeres Bauen vorgelegt – den sogenannten Gebäudetyp E. Eine Nachricht, die angesichts des stockenden und teuren Wohnungsbaus mediale Aufmerksamkeit erhalten hat. Die neuen Leitlinien zeigen, dass die Politik gewillt ist, die überbordenden öffentlichen Bauvorschriften sowie die technischen Standards und Normen in den Griff zu bekommen. Neben der abrupten Zinswende und den akuten Material- und Kapazitätsengpässe waren es vor allem die stetig steigenden Anforderungen – auch bei der Energieeffizienz –, die das Bauen seit vielen Jahren stetig verteuert haben. Die Anleitung für die Ausgestaltung des Gebäudetyps E ist dabei nur eine von zahlreichen Maßnahmen des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum und des Vereinfachungs- und Beschleunigungspakts von Bund und Ländern, die Bauen vereinfachen, beschleunigen und vergünstigen wollen. Für eine rechtssichere Anwendung des Gebäudetyps E fehlt nun noch eine Anpassung des Bauvertragsrechts. Diese muss zügig gemeinsam von Bundesjustiz- und Bundesbauministerium erarbeitet werden.
Maßnahmen für Vereinfach und Beschleunigung auf dem Weg
Jahrzehntelang haben sich Bund und Länder, ebenso wie die industriegetriebenen Normensetzungen, überboten, was ambitionierte Baustandards angeht - gepaart mit einer Verkomplizierung von Planungs- und Genehmigungsprozessen. Jetzt aber ziehen beim Thema Vereinfachung und Beschleunigung Bund und Länder endlich an einem Strang: Sie haben von der Bremse auf das Gaspedal gewechselt! Die Etablierung des Gebäudetyps E für experimentelles, einfacheres und erschwingliches Bauen ist eine zentrale Maßnahme dafür. Damit sollen Abweichungen von den mittlerweile etablierten, überambitionierten Normen und Standards, die den „Stand der Technik“ abbilden, leichter rechtssicherer möglich werden. Denn diese sind nicht zwingend für ein sicheres, qualitätsvolles und gesundes Wohnen notwendig, erhöhen aber die Kosten. Wie dies Planende, Architekt:innen, Ingenieur:innen und Bauherren im Planungs- und Bauprozess gestalten können, zeigen die nun vorgelegten Leitlinien auf – praxis- und bauteilorientiert, von der Betonzwischendecke bis zur Steckdose.
Rechtssicherheit für Gebäudetyp E schaffen
Damit Bauherren und Bauausführende den Gebäudetyp E rechtsicher in Bauverträgen anwenden können, ist aber noch eine Ergänzung im Bauvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) notwendig. Denn bislang nahmen Gerichte bei späteren Klagen gegen Baumängel stets den hohen Stand der Technik zum Maßstab. An dieser Ausnahmeregelung des BGB arbeiten Bundesjustiz- und Bundesbauministerium noch. Trotzdem sind die Leitlinien bereits ein Erfolg, auf den auch der DV mit seinen Mitgliedern und Partner:innen hingewirkt hat. Bereits im Februar 2023 hatten wir ein Papier mit Empfehlungen zum Entlastungswohnungsbau und zum Gebäudetyp E erarbeitet. Mit unserer AG Wohnungswesen haben wir uns zudem – gemeinsam mit Vertreter:innen von Bund und Ländern – im Mai 2023 intensiv dem Gebäudetyp E und den anerkannten Regeln der Technik gewidmet.
Innovationsklauseln in den Bundesländern und Beschleunigungspakt
Flankiert werden die neuen Leitlinien des Bundes auch in zahlreichen Bundesländern mit der Verstärkung von Innovationsklauseln, mit denen Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Vorgaben von den Aufsichtsbehörden zugelassen werden müssen. Voraussetzung ist, dass die zwingenden Schutzanforderungen sowie weitere öffentliche und nachbarschaftliche Belange auf andere Weise erreicht werden. Die Einführung eines Gebäudetyps E ist aber nur eine von zahlreichen weiteren Maßnahmen aus dem umfassende Maßnahmenkatalog des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum vom Herbst 2022 sowie dem Vereinfachungs- und Beschleunigungspakt von Bund und Ländern vom vergangenen November. Insgesamt wird intensiv an zahlreichen Stellschrauben gedreht, die das Bauen wieder einfacher, schneller und kostengünstiger machen sollen. Sie schaffen damit mehr Flexibilität für ein einfaches und innovatives Bauen, aber auch für einen konstruktiven und pragmatischen Umgang mit dem Bestand. Zudem lassen zahlreiche Bundesländer mittlerweile Typengenehmigungen zu, um mit weniger bürokratischem Aufwand kostengünstiger seriell oder modular bauen zu können. Hier müssen sich Praxis und Verwaltung allerdings noch einspielen; wir befinden uns noch am Anfang einer breiteren Umsetzung. Gleiches gilt auch für die Anerkennung von Typen, die andere Länder bereits genehmigt haben. Grundsätzliche rechtliche Voraussetzungen hierzu bestehen aber bereits in vielen Bundesländern.
Potenzial im Bestand ausnutzen
Dies alles sind wichtige Voraussetzungen – nicht nur für den Neu-, sondern vor allem für den Bestandsumbau. Denn gerade im Bestand liegt ein enormes Potenzial für die Schaffung von neuem Wohnraum, etwa durch Umnutzung von Gewerbe, Dachausbau oder Aufstockung. Auch hier wird mit Hochdruck daran gearbeitet, bauordnungsrechtliche Hürden aus dem Weg zu räumen: etwa durch eine Abschaffung der Nachweispflicht von zusätzlichen Stellplätzen für Dachausbau, Aufstockung oder Teilung oder durch einen genehmigungsfreien Dachausbau in Siedlungsbereichen ohne Bebauungsplan, den sogenannten „34er-Gebieten“. Schließlich sollen bei Bestandsumnutzung und -umgestaltung für die alten Bauteile nicht die aktuell gültigen, sehr hohen bauordnungsrechtlichen Standards den Maßstab bilden, sondern die bei der Erstellung geltenden Regeln, sofern aktuelle Schutzansprüche gewährleistet sind. Am weitesten geht hier das Land Niedersachsen, das in der soeben verabschiedeten Novelle der Bauordnung eine echte Umbauordnung auf den Weg gebracht hat.
Massive Förderung für Wohnungsneubau nötig
Sicherlich werden die notwendigen Erleichterungen nicht überall sofort, vollumfassend und gleichgerichtet umgesetzt werden. Trotz der aktuellen Dynamik wird es dauern, bis alle Änderungen in der Praxis greifen und zu einem schnellen, kostengünstigeren Bauen in der Breite führen. Bis dahin ist es unverzichtbar, den Wohnungsneubau massiv zu fördern, um ausreichend bezahlbaren Wohnungsneubau zu erhalten. Bund und Länder stellen dafür hohe Summen für die soziale Wohnraumförderung zu attraktiven Konditionen zur Verfügung. Angekündigt sind ein Sonderprogramm mit Zinsverbilligung für preisreduzierten, freifinanzierten Wohnungsbau sowie ein neues Bundesprogramm „Gewerbe zu Wohnen“. Leider verzögern sich die Programmstarts schon recht lange. Grund sind Haushaltsverhandlungen und die Erörterung der Konditionen. Zudem sind die zur Verfügung stehenden Mittel für einen wirklichen Umschwung beim Wohnungsbau unzureichend. Zumindest aber machen der Abbau von zu hohen Standards und die Anpassung der Förderung klar, dass es kein „weiter so“ in der Wohnungsbaupolitik geben kann und wird. Dies wird auch für die Zukunft wirken.