Nach Habecks Aufbruchssignal für den ganzheitlichen Klimaschutz: Gemeinsam Umsetzung gestalten!

von Werner Spec, Vorsitzender der AG Energie, Immobilien und Stadtentwicklung des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V.

Am 11. Januar 2022 gab Robert Habeck erstmals umfassenden Einblick in die Vorhaben seines neuen „Superministeriums“ zum Klimaschutz. Der GRÜNEN-Parteichef ist mit hohen Erwartungen konfrontiert, da er als Wirtschafts- und Klimaschutzminister nun die Hauptverantwortung zum Erreichen der ambitionierten deutschen Dekarbonisierungsziele trägt.

Trübe Klimazwischenbilanz: Viel zu tun im Gebäudesektor

Zum Amtseinstieg zog er zunächst einmal Bilanz und machte klar: Unsere Klimaziele sind in allen Sektoren kurzfristig nicht in Reichweite. 2022 und 2023 werden die Zwischenziele nicht erreicht werden; gerade der Gebäudesektor bleibt – neben dem Verkehrsbereich – ein Sorgenkind: Dort wurden die Klimaziele in den beiden vergangenen Jahren verfehlt, zugleich zeichnete sich ein Trend zu steigenden Endenergieverbräuchen ab. Dies liegt nicht allein an einer stagnierenden Sanierungsrate. Vielmehr sparen wir durch Wärmeschutzmaßnahmen meist nicht so viel Energie ein, wie theoretisch berechnet. Grund dafür sind zum Beispiel Rebound-Effekte, die entstehen, wenn ein verändertes Nutzer:innenverhalten die technischen Einsparungen wieder aufhebt.

Insgesamt müssten wir laut Habeck die Geschwindigkeit unserer Emissionsminderungen verdreifachen, wenn wir bis 2045 klimaneutral sein wollen. Dabei hat die Politik auf Bundesebene in den letzten Jahren bereits viele Stellschrauben gedreht, beispielsweise mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG), der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) oder der Einführung der CO2-Steuer. Angesichts dessen lässt sich erahnen, vor welch massivem Transformationsprozess wir stehen. Angesichts der langen Investitionszyklen bei Gebäuden und Infrastruktur muss er zudem umgehend einsetzen. Daher betont der Klimaschutzminister zurecht die gesellschaftliche und soziale Tragweite seiner ambitionierten Vorhaben und Ziele.

DV-Empfehlungen aufgegriffen

Um den nötigen Schub zu erreichen, sollen bereits 2022 zwei Klimaschutzpakete auf den Weg gebracht werden, das erste noch bis Ostern. Insgesamt hat sich das neue Ministerium eine engagierte To-Do-Liste mit vielen Maßnahmenvorschlägen vorgenommen, die auch der DV im Rahmen seines Runden Tischs zum Klimaschutz im Gebäudebereich empfohlen hat. GEG und BEG sollen überarbeitet werden. Zudem ist erfreulich, dass hierbei auch Quartiersansätze sowie neue Geschäftsmodelle wie Contracting-Lösungen und serielles Sanieren aufgegriffen sowie die ganzheitliche Energieberatung und der individuelle Sanierungsfahrplan gestärkt werden sollen. Auch hebt Habeck die Bedeutung der Sektorenkopplung und Ergänzungsoptionen der Wärmeversorgung durch grünen Wasserstoff hervor, für den neben dem Ausbau heimischer Erzeugungskapazitäten auch ein ausreichender Import notwendig ist. Insgesamt konzentriert sich das Ministerium für den Wärmebereich allerdings stark auf strombasierte Lösungen, auch wenn Potenziale von Biomasse und Geothermie als Energieträger aufgegriffen werden. Entsprechend hat der Bund die notwendigen Mengen an erneuerbarem Strom deutlich nach oben korrigiert und strebt folgerichtig einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energiekapazitäten an. Dies soll durch beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie eine angepasste Schutzgüterabwägung geschehen.

In der Summe stimmt es hoffnungsvoll, dass die Dekarbonisierung integriert, technologieoffen und damit auch ortsspezifisch angemessen vorangebracht wird. Hierfür spricht auch die zu begrüßende flächendeckende kommunale Wärmeleitplanung, die als essentielles Instrument anerkannt wird. Denn Habeck kündigte auch an, bis 2030 die Hälfte der Wärme klimaneutral erzeugen zu wollen: Ab 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden. Dabei gilt es (auch mithilfe der Wärmeleitplanung) einen einseitigen Fokus auf strombasierte Lösungen zu vermeiden. Nutzungskonflikte des grünen Stroms sollten verhindert sowie genügend Flexibilität ermöglicht werden, damit die örtlichen Energiepotentiale sowie Synergie- und Skaleneffekte von Nah- und Fernwärmenetzen auch im Sinne der notwendigen saisonalen Ausgleiche zwischen erneuerbarem Energieangebot und Energienachfrage genutzt werden können.

Wir brauchen räumlich integrierte und sektorenübergreifende ortsspezifische Lösungen, die verschiedene erneuerbare Energieträger, ebenso wie Abwärme aus Industrie und Gewerbe, aus der Elektrolyse sowie von KWK aus dem notwendigen Ausbau von (künftig) mit grünem Gas betriebenen Gaskraftwerke in Wärmenetze einbinden und dies zusammen mit Wärmepumpen zu einem klimaneutralen Gesamtsystem verbinden. Wärmepumpen alleine benötigen genau dann den meisten erneuerbaren Strom, wenn dieser ohne Zwischenspeicherung nicht zur Verfügung steht. Zur Nutzung der Abwärme aus der Elektrolyse, die grünen Wasserstoff günstiger und effizienter macht, müssen möglichst viele Erzeugungsanlagen im Siedlungsumfeld entstehen. Dort wo Wärmenetze erst in einer mittelfristigen Perspektive einen ausreichenden Anteil klimaneutraler Energien einbinden können oder auf weitere Quartiere ausgeweitet werden, muss es Übergangslösungen für Gebäudeeigentümer geben, die ihre Heizung austauschen müssen. Denn sonst setzen diese auf eine gebäudeindividuelle Lösung, obwohl der Anschluss an Wärmenetze effizienter und systemdienlicher wäre. Und auch die Elektrifizierung der Individualmobilität benötigt sektorübergreifend, räumlich integrierte Lösungen.

Insgesamt sind Erzeugung, Speicherung, Verbrauch und digitale Steuerung übergreifend zu vernetzen. Vor allem die Rolle der Digitalisierung kommt dabei bislang noch zu kurz. Hierfür gilt es auch dringend die Handlungsfähigkeit der Kommunen und der kommunalen Energieversorger im Blick zu behalten, die sich auf der Umsetzungsebene der Energiewende mit vielen neuen Planungs-, Koordinierungs-, Kommunikations- und Beratungsaufgaben konfrontiert sehen und ebenso wie das Handwerk nicht zum Flaschenhals einer ambitionierten Dekarbonisierung werden dürfen.

Akteurs- und interessenübergreifende fachliche Begleitung nötig

Sowohl im Neubau als auch im Bestand sollen zudem Effizienzstandards ambitionierter werden. Das ist angesichts des anfangs skizzierten Handlungsdrucks nachvollziehbar. Jedoch muss dies zwingend mit entsprechender Förderung flankiert werden, da sonst Neubau- und Sanierungsaktivitäten ausgebremst und erhebliche soziale Verwerfungen drohen. Ganz konkret: Wird für Sanierungen das Effizienzhaus 70 bauteilebezogen zum gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandard, dann muss dies zwingend weiterhin gefördert werden. Im Denkmalschutz geht es auch, gesetzliche Pflichten zu fördern. Warum dann nicht beim Klimaschutz? Wichtig ist darüber hinaus im Sinne einer möglichst zielgenauen und effizienten Politik bei der letztlichen Umsetzung von neuen Förderakzenten wie auch Effizienzvorgaben, diese eng am konkreten Output der Maßnahmen auszurichten – also an den jeweiligen CO2-Einsparpotentialen. Gebäuderessourcenpass und die Lebenszyklusbetrachtung weisen hier in die richtige Richtung, dürfen aber nicht gerade für die vielen privaten Gebäudeeigentümer auch noch überkomplex gestaltet werden.

Es liegt in der Natur der Sache, dass eine so umfassende und komplexe Aufgabe wie die Dekarbonisierung unserer Gebäude und Quartiere zahlreiche Interessen berührt und für den Alltag der Menschen vielfältige Veränderungen bereithält. Der Wirtschafts- und Klimaschutzminister hat betont, dass er sich dieser weitreichenden Auswirkungen und ihrer gesellschaftlichen Implikationen bewusst ist. Umso wichtiger ist es, dass die Ausarbeitung und Umsetzung der Sofortmaßnahmen für den Gebäudesektor nun von einem akteurs- und interessenübergreifenden Fachdialog flankiert werden, der die Belange und Auswirkungen für die vielen betroffenen Akteursgruppen herausarbeitet. Denn Fehlanreize und nicht intendierte Effekte können wir uns angesichts des aktuellen Handlungsdrucks kaum mehr leisten.

Der DV hat mit seinem Runden Tisch „Neue Impulse beim nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand“ im Auftrag des Bundesumweltministeriums gezeigt, wie solche Formate das gegenseitige Verständnis und das Auflösen von Zielkonflikten befördern. Der überraschende Stopp der KfW-Programme im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ist jedoch in Augen des DV gerade nicht der richtige Weg.

Die Handlungsempfehlungen des Runden Tisches „Neue Impulse für mehr Klimaschutz im Gebäudebestand" finden Sie hier.

 

 

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