Städtepolitik in der EU stärken

Letzte Veranstaltung der Reihe“ Cities Fit For Future“ zeigt, wie Grundsätze der Neuen Leipzig-Charta zur Weiterführung der Urbanen Agenda für die EU beitragen.

Unter dem Titel „Strengthening Urban Policy in the EU“ schloss der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV) am 18. November 2021 seine erfolgreiche Webreihe „Cities Fit for Future“ mit einer hochrangigen europäischen Online-Konferenz zur Zukunft der Stadtentwicklungspolitik in Europa ab. Seit September 2020 widmete sich die Veranstaltungsserie in verschiedenen Formaten der Umsetzung der Neuen Leipzig-Charta. Der DV übernahm die Durchführung zusammen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik. Im Fokus der Abschlussveranstaltung stand die Bedeutung der Neuen Leipzig-Charta für die Weiterführung der Urbanen Agenda für die EU. Dabei wurden auch die Errungenschaften der größtenteils abgeschlossenen ersten Thematischen Partnerschaften der Urbanen Agenda diskutiert und überlegt, welche Strukturen und thematischen Schärfungen für eine künftige Fortführung geeignet sein könnten. Zudem wurde die urbane Dimension anderer EU-Politiken, etwa des Green Deals, in den Blick genommen. Einen konkreten Anlass bot auch die Verabschiedung des Abkommens von Ljubljana unter slowenischer Ratspräsidentschaft im November 2021, das an die Neue Leipzig-Charta anknüpft. Angesichts der auslaufenden Trio-Präsidentschaft von Deutschland, Portugal und Slowenien wurde zudem Bilanz gezogen.

Aufzeichnung der Online-Konferenz:

Nach einer einleitenden Botschaft der Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Anne Katrin Bohle, beleuchtete Prof. Dr. Karsten Zimmermann von der TU Dortmund die urbane Politik auf EU-Ebene der letzten beiden Dekaden aus Perspektive der Wissenschaft. Dabei unterstrich er die Bedeutung von einheitlichen Ansätzen, die jedoch oft durch „fragmegration“, also die gleichzeitige Integration und Zergliederung, untergraben werden, etwa wenn Projekte nicht hinreichend abgestimmt sind. Eine erfolgreiche urbane Politik für die EU liegt laut Zimmermann einem Mehrebenen-Ansatz, wie er zum Beispiel in den Programmen Urban I und II existierte, die bis 2006 in der Städtepolitik der EU maßgeblich waren.     

Platz am Verhandlungstisch: Urbane Agenda für die EU stärkte lokale Ebene

Anschließend tauschten sich Vertreter:innen der ersten Generation der Thematischen Partnerschaften der Urbanen Agenda für die EU mit der EU-Kommission über ihre Erkenntnisse und Lehren aus. Allgemein waren die Erfahrungen positiv. So sagte Prof. Dr. Anke Karmann-Woessner von der Stadt Karlsruhe, dass die Urbane Agenda für die EU Städten einen Platz am Verhandlungstisch mit Mitgliedstaaten und EU-Kommission biete. Dies käme den lokalen Akteuren zugute, beispielsweise bei der Bewerbung um Fördermittel. Auf die Frage nach den Stärken der Neuen Leipzig-Charta war die einhellige Meinung der Diskussionsteilnehmer:innen, dass sie als strategisches Dokument zur Einheitlichkeit von Städtepolitik innerhalb des Mehrebenen-Systems beiträgt. So verglich die portugiesische Vertreterin Elisa Vilares die Neue Leipzig-Charta mit einem Kompass, der sowohl für nationale Politik als auch für Initiativen der EU, wie das Neue Europäische Bauhaus oder eben die Fortsetzung der Urbanen Agenda die Richtung vorgebe. Diese Aussage spiegelt die Forderung Zimmermanns nach einer stärkeren Kohärenz zwischen den verschiedenen Politik-Ebenen wider. Karen van Dantzig, Vertreterin der Niederlande als Dutch Urban Envoy, bekräftigte, wie wichtig es sei, dass EU, nationale und lokale Ebene gleichberechtigt zusammenarbeiten. Hierbei hätten die Städte eine ganz entscheidende Rolle, da sie die Politik vor Ort umsetzen und daran auch gemessen werden. Dies sei auch das besondere Verdienst der Urbanen Agenda für die EU, da diese durch ihre Partnerschaften konkrete Resultate hervorgebracht hätte. Sie macht europäische Stadtentwicklungspolitik dadurch bei den Bürger:innen sichtbar und trägt zu ihrer  Akzeptanz bei. Entscheidend sei, dass Entscheidungsträger politische Verantwortung für die Urbane Agenda für die EU übernähmen, damit das Dokument Wirksamkeit entfalten könne.

URBACT als Einstieg für Teilnahme an europäischen Förderprogrammen

Im Anschluss setzten sich die Teilnehmenden mit den Erfahrungen aus den abgeschlossenen Partnerschaften der Urbanen Agenda für die EU auseinander. Kieran McCarthy vom Ausschuss der Regionen leitete den Dialog ein, indem er Möglichkeiten aufzeigte, wie die urbane Dimension des Green Deals gestärkt werden kann. Nicht alle Initiativen seien auf alle Städte zugeschnitten und es seien zudem entsprechend qualifizierte Personen in Verwaltung und Politik notwendig, die die Programme und Projekte für sich zu nutzen wissen. URBACT diene dabei oftmals als Einstieg für Städte und Gemeinden, um an europäischen Förderprogrammen teilzunehmen. Der darauffolgende Austausch von Teilnehmer:innen an den Thematischen Partnerschaften der Urbanen Agenda bot einen Einblick in mögliche Weiterentwicklungen des Teilhabeprozesses. Gleichzeitig wurde herausgestellt, inwieweit die einzelnen Partnerschaften jeweils zu den drei Dimensionen der Neuen Leipzig-Charta für eine nachhaltige Stadtentwicklung beitragen können: Zur grünen, produktiven und gerechten Stadt.

Erfahrungen aus den Thematischen Partnerschaften

Alicja Pawlowska aus der polnischen Stadt Gdynia und der Partnerschaft „Urbane Mobilität“ und Maria Backman aus der finnischen Stadt Vaasa (FI), die in der Partnerschaft „Energiewende“ involviert war, diskutierten die Dimension der grünen Stadt. Pawlowska hob insbesondere  den Austausch der verschiedenen Ebenen über die jeweiligen Perspektiven und Ziele als positiven Aspekt der Partnerschaft hervor. Allerdings sei es sehr wichtig, sich zu Beginn der Vorhaben klare Ziele zu setzen und Finanzierungsfragen möglichst frühzeitig zu klären. Auch die Erkenntnisse aus Vaasa waren positiv, da die gleichberechtigte Teilhabe der Stadt mit anderen Verwaltungsebenen die Vorhaben der Urbanen Agenda der lokalen Ebene nähergebracht hätte. Beide waren sich einig darüber, dass die Neue Leipzig-Charta als strategisches Dokument bei Planungsprozessen und deren Ausrichtung hilfreich ist und zudem auch Querverbindungen zwischen den einzelnen Partnerschaften schaffen kann.

Zur produktiven Dimension tauschten sich Thomas Kiwitt vom Regionalverband Stuttgart (DE) aus der Partnerschaft „Nachhaltige Landnutzung“ und Jan-Harko Post, Stadt Den Haag, aus der Partnerschaft „Kreislaufwirtschaft“ aus. Für die Region Stuttgart bot die Partnerschaft Gelegenheit für einen produktiven Austausch zu Querschnittsthemen. Zudem hätte sie auch deutlich gemacht, welche Bandbreite der Begriff ‚Produktivität‘ hat – nämlich familiengeführtes urbanes Handwerk ebenso wie die Automobilindustrie in der Region Stuttgart. Kiwitt und Post haben zudem hervor, wie wichtig gegenseitiges Vertrauen innerhalb der Partnerschaften sei. Sie verwiesen außerdem darauf, dass nach Beendigung der Partnerschaften unbedingt Strategien dazu notwendig seien, wie man die erreichten Ergebnisse am besten teilen und nutzbar machen kann.

Die gerechte Dimension der Neuen Leipzig-Charta wurde bei der Veranstaltung durch die Partnerschaften „Wohnen“ vertreten, an der sich die Stadt Wien, vertreten durch Michaela Kauer, beteiligt hatte, und durch die Partnerschaft „Inklusion von Migranten und Geflüchteten“ mit Sabina Kekic, ehemals Mitarbeiterin der Stadt Amsterdam. Beide waren Partnerschaften der ersten Generation, was zu Beginn teilweise zu Koordinationsfragen führte. Insgesamt zog die Stadt Wien ein positives Resümee, da das Thema Wohnen alle Partner stark interessiert hätte und auch Vertreter:innen der Wissenschaft angezogen habe. Außerdem erlaubte die Partnerschaft Flexibilität in der Teilhabe und Umsetzung. Gleichzeitig vereine das Thema Wohnen alle Dimensionen der Neuen Leipzig-Charta und betreffe auch stark die Inklusion von Migranten und Geflüchteten. Diese Partnerschaft musste in ihren Anfängen zusätzlich mit dem politischen Diskurs um die Flüchtlingskrise umgehen. Außerdem hatte die EU-Ebene für die politische Führung Amsterdams keine Priorität. Deshalb bedurfte es viel Überzeugungsarbeit und konkreter Resultate. Generell habe sich aber bezüglich des Mehrebenen-Ansatzes viel verbessert und sei selbstverständlicher geworden.

Beitrag zur grünen Transformation und Fördermöglichkeiten

Auch seitens des Europäischen Parlaments besteht großes Interesse an der Neuen Leipzig-Charta und der Urbanen Agenda für die EU, da diese die grüne Transformation auf konkrete Art und Weise widerspiegelten. Ros Sempere (ES) vom EU-Parlament bekräftigte die Unterstützung für den Green Deal und den damit verbundenen Initiativen wie der Renovierungswelle und dem Neuen Europäischen Bauhaus. Als Berichterstatter für letzteres unterstrich forderte er auch, Architektur und Stadtplanung mehr zu priorisieren, weil nachhaltiges Leben unmittelbar mit nachhaltigem Planen verbunden sei.

Für die Umsetzung der Neuen Leipzig-Charta präsentierten verschiedene EU-Institutionen und Programme Möglichkeiten zu Finanzierung und Unterstützung. Hierbei zeigte die Europäische Investitionsbank (EIB) Förderpotenziale anhand von Finanzierungsmodellen und konkreten Projekt-Beispielen auf. Die Prinzipien der Neuen Leipzig-Charta dienten der EIB dabei als Orientierungshilfe bei der Auswahl von zu fördernden Projekten. Auch die GD REGIO stellte mit Horizon 2020 und besonders der kürzlich vorgestellten Mission klimaneutrale und Smart Cities Programme vor, die die Umsetzung der Neuen Leipzig-Charta und damit nachhaltige Stadtentwicklung unterstützen sollen. Außerdem stellte URBACT seine Arbeit vor, die vor allem auf dem Erfahrungsaustausch zwischen europäischen Städten auf Arbeitsebene und dem Aufbau von Strukturen und Kompetenzen im Bereich Stadtentwicklung beruht.

Zum Ende der Konferenz bot Eric Briat (FR) einen Ausblick auf die Prioritäten der kommenden französischen Ratspräsidentschaft. Diese wird sich insbesondere auf benachteiligte Städte und Quartiere fokussieren und die Dimensionen der gerechten und der grünen Stadt der Neuen Leipzig-Charta weiterentwickeln und umsetzen. Unter Berufung auf die Territoriale Agenda 2030 kündigte er zudem an, dass die Verbindungen zwischen Stadt- und Raumentwicklung künftig gestärkt werden sollen.