Für jede Stadt ein Einkaufszentrum?

Fachtagung zur Ansiedlung von innerstädtischen Einkaufszentren in Klein- und Mittelstädten

Unter welchen Voraussetzungen können Einkaufszentren Klein- und Mittelstädte stärken? Und wie lassen sich die großen Einzelhandelsformate möglichst verträglich und mit positiven Impulsen für den Bestandseinzelhandel und die Innenstadtstrukturen ansiedeln? Darauf gab die Fachtagung „Innenstadtverträgliche Ansiedlung innerstädtischer Einkaufszentren in Klein- und Mittelstädten“ am 12. Februar 2013 in Bingen fachliche und praktische Antworten. Die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke betonte in ihrer Einführung die wichtige Funktion der Landesplanung für die Stärkung von Mittel- und Kleinstädten und des innerstädtischen Handels.„Großflächiger Einzelhandel gehört in integrierte Lagen von Ober- und Mittelzentren. Wir setzen dazu auf das Zentrale-Orte-System, das wir derzeit überarbeiten, sowie auf ‚Innen vor Außen‘“, so die Ministerin. Die Integration der Landesplanung in das Wirtschaftsministerium bildet dafür eine gute Basis, da deren Instrumente mit der Förderung der Unternehmen vor Ort besser koordiniert werden können.

Bedeutung für Versorgung des Umlandes in ländlichen Gebieten

Gerade für ein Land wie Rheinland-Pfalz, das größtenteils ländlich geprägt ist, hat die Stärkung der Zentren von Klein- und Mittelstädten auch für die Versorgung des Umlandes eine besondere Bedeutung. Für lebendige und attraktive Klein- und Mittelstädte spielt der Handel eine zentrale Rolle und ist gemeinsam mit Gastronomie, Tourismus, Kultur, Mobilität und weiteren Dienstleistungen wichtiger Motor der Innenstadtentwicklung. Dies unterstrich der Oberbürgermeister von Bingen, Thomas Feser. In seiner Stadt wird derzeit die Nachnutzung eines leerstehenden ehemaligen Hertie-Warenhauses durch ein Shop-in-Shop-Center vorbereitet. Entscheidend ist dabei die Einbindung in die gesamte städtebauliche Aufwertung der angrenzenden Fußgängerzone und die Einbettung in weitere Entwicklungsmaßnahmen zur Stärkung der Stadt. Feser veranschaulichte als Sprecher der „Hertie-geschädigten“ Kommunen ebenfalls, dass bereits in zahlreichen Städten mit leerstehenden Kaufhausimmobilien Nachnutzungen realisiert oder auf den Weg gebracht werden konnten.

Einkaufszentren als Magnete für Innenstädte

Das Unternehmerehepaar Martina und Norbert Wittenberg belegte mit mehreren erfolgreich betriebenen Warenhäusern in deutschen Mittelstädten anschaulich, dass gut geführte Warenhäuser neben Einkaufszentren nach wie vor wichtige Magnete für eine lebendige Innenstädte sind. Zentrale Erfolgsfaktoren sind freundliche und kompetente Mitarbeiter, ein zeitgemäßes Warensortiment sowie eine Atmosphäre und Events, die dem Kunden eine emotionale Bindung vermitteln.

Braucht der Handel noch die Stadt? Dramatische Auswirkungen des Online-Handels

Die enormen Strukturveränderungen der letzten Jahrzehnte, die mit einer großflächigen Konkurrenz zur Innenstadt auf der „Grünen Wiese“ und Problemen der traditionellen Warenhäuser einhergingen, zeigen ihre negativen Folgen gerade abseits der Metropolen am deutlichsten. Noch dramatischer könnte sich ein weiterhin rasantes Wachstum des Online-Handels auswirken, wie der Handelsexperte Prof. Dr. Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein darlegte. Vor allem die mobilen Dienste über Smart Phones und neue, junge Käufergruppen werden die Geschwindigkeit dieser Entwicklung weiter erhöhen. Galt über Jahrhunderte die gegenseitige Symbiose – die Stadt braucht den Handel und der Handel braucht die Stadt – so könnte das Verhältnis künftig einseitiger werden: „Braucht der Handel noch die Stadt, wenn physische Präsenz und Standorte an Gewicht verlieren, da Waren online überall bestellt und überall hin geliefert werden können?“, fragte pointiert Dr. Josef Meyer, Vizepräsident des Deutschen Verbands, der die Tagung moderierte.

Die Veranstaltung zeigte, dass bisherige stadtplanerische und rechtliche Instrumente der Online-Konkurrenz nicht gewachsen sind. Neue Ansätze sind notwendig, um das „Besondere“ des innerstädtischen Einkaufens herauszustellen, das im Internet nicht geboten werden kann: Wohlfühlatmosphäre und Erlebnis sowie kompetente und freundliche Beratung in den Geschäften. Doch der stationäre Handel muss auch die Möglichkeiten des Online-Handels aktiv aufgreifen und für sich nutzen, da die Kunden beide Kanäle wollen – das traditionelle und das Online-Geschäft. Ebenso zeigt sich, dass der Online-Handel mittlerweile mehr und mehr mit Filialen vor Ort eine physische Präsenz sucht, wie Rüdiger Pleus vom German Council of Shopping Centres erklärte.

Gelungene städtebauliche Integration: Beispiele aus Ingelheim und Schwäbisch Hall

Innerstädtische Einkaufszentren können für Klein- und Mittelstädte ein Mittel gegen die Online-Konkurrenz sein, wie anhand von Centerentwicklungen aus Ingelheim und Schwäbisch Hall anschaulich gezeigt wurde. Beides sind Beispiele für eine gelungene städtebauliche Integration und Anbindung an die bestehenden Innenstadtstrukturen mit angemessener Dimensionierung. Bemerkenswert an der Centerentwicklung in Schwäbisch Hall ist vor allem, dass die Stadt, nachdem kein Investor für die Umsetzung der städtischen Vorstellungen gefunden werden konnte, mit ihrer Entwicklungsgesellschaft selbst als Investor und Betreiber tätig wurde. So entstand ein integrierter, multifunktionaler Standort mit Bildungseinrichtungen, Einkaufszentrum und Bankgebäude.

In Ingelheim wird über ein gut integriertes Center mitten in der Stadt eine „Neue Mitte“ für die Kleinstadt geschaffen, die - aus verschiedenen Ortsteilen zusammengewachsen - bislang kein wirkliches Zentrum hatte. Damit dient das Einkaufszentrum vor allem auch dazu, die Identität der Stadt zu stärken und Urbanität zu schaffen. In Schwäbisch Hall und in Ingelheim gingen den Ansiedlungen intensive und komplexe Planungs- und Beteiligungsprozesse voran. Die Städte stellten in einem transparenten und gut gesteuerten Prozess ihre Zielvorstellungen für die Innenstadtentwicklung auf. Darauf aufbauend formulierten und realisierten sie schließlich detaillierte städtebauliche und architektonische Bedingungen für die Investition.

Gut gesteuerter und transparenter Ansiedlungsprozess notwendig 

Insgesamt unterstrichen die Fachvorträge, Praxisbeispiele sowie die abschließende Diskussion zwischen Vertretern von Landesplanung, Handel, Architektur und Centerbetreibern, dass für eine innenstadtverträgliche Centerentwicklung ein gut gesteuerter und transparenter Ansiedlungsprozess notwendig ist. Die oftmals kontroverse Diskussion über Wirkungen von Einkaufszentren auf Stadtstruktur und Bestandseinzelhandel sollte offen und konstruktiv geführt werden. Dabei ist es entscheidend, dass eine Stadt bereits bevor eine Ansiedlung überhaupt zur Rede steht, ihre Vorstellungen über die Ziele der Innenstadtentwicklung explizit formuliert. Anschließend kann die Stadt dann aus verschiedenen Alternativen wählen - wobei ein Einkaufszentrum nur eine Option ist.

Laut Ralf Beckmann von Stadt und Handel sind die dafür notwendigen Planungs- und Steuerungsinstrumente ausreichend vorhanden – sei es als integrierte Innenstadtkonzepte, Einzelhandelskonzepte, Masterplan Innenstadt oder Weißbuch Innenstadt. Diese müssten nur zielgerichtet und professionell angewendet und nach ihrer Erstellung und Verabschiedung konsequent umgesetzt werden.

Im Vorfeld sollte eine breite Auseinandersetzung erfolgen

Jürgen Vogel von der IHK Pfalz unterstrich, dass gerade der Handel für seine eigene Planungssicherheit die Verlässlichkeit und damit die konsequente Anwendung entsprechender Planungs- und Steuerungsinstrumente befürwortet. Die Kommunalpolitik sollte geschlossen und entschieden hinter den vereinbarten Zielen und Planungen stehen und diese nicht auf Drängen möglicher Investoren wieder aufgeben. Steht in einer Stadt eine Ansiedlung konkret zur Planung und Umsetzung, so sollte eine breite Auseinandersetzung mit den möglichen positiven und negativen Auswirkungen erfolgen. So können Konsequenzen für die städtebauliche Struktur, Lagestrukturveränderungen, Leerstände und Immobilienpreisentwicklungen im Vorfeld fundiert abgeschätzt werden. Dazu reichen die standardmäßig vorgesehenen Verfahren und Gutachten alleine häufig nicht aus, sondern es sind umfangreichere Untersuchungen notwendig, die die komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen Center, Bestandseinzelhandel und Innenstadtstruktur berücksichtigen.

Dimensionierung - Standort - Ausgangssituation Innenstadt: Anforderungen beachten

Sämtliche Planungen und Vorgaben für den Bau des Centers sollten folgende Anforderungen beachten: Passt die Dimensionierung – z.B. Verkaufsfläche, Anzahl Betriebe sowie Umfang an Parkplätzen – zur speziellen Ausgangssituation der Innenstadt? Ist der Standort für eine Integration ins Innenstadtgefüge geeignet? Das Einkaufszentrum darf nie als Solitär betrachtet werden, sondern immer in Verbindung und Wechselwirkung mit der umgebenden Innenstadt und vor allem den bestehenden Einzelhandelslagen. Wie kann architektonisch und gestalterisch sowie über Wegebeziehungen eine optimale städtebauliche und baukulturelle Integration in die bestehenden Handels- und Innenstadtstrukturen gewährleistet werden? Hierzu sind bei Planung und Bau die Durchlässigkeit und die Wegeverbindungen zum öffentlichen Raum zu beachten.

Nicht nur Dr. Elena Wiezorek von der Architektenkammer Rheinland-Pfalz betonte, dass hierfür städtebauliche Wettbewerbe ein bewährtes Instrument darstellten. Denn über sie kann ein Ausgleich zwischen gestalterischer Qualität und städtebaulicher Einbindung auf der einen und betriebswirtschaftlicher Funktionalität auf der anderen Seite geschaffen werden.

Gemeinsame Profilierung der Gesamtinnenstadt

Im Nachgang der Ansiedlung ist eine gemeinsame Positionierung und Profilierung der Gesamtinnenstadt wichtig. Gemeinsames Stadtmarketing oder Geschäftsstraßenmanagement, in das das Center direkt eingebunden ist, bieten hierfür z. B. Ansätze, mit denen die Innenstadt beworben und vermarktet werden kann. Martin zur Nedden, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik, plädierte neben weiteren Vertretern dafür, dass die Kommunen bei den Center-Ansiedlungen das Heft des Handelns in der Hand behalten und auf Augenhöhe mit Projektentwicklern und Investoren verhandeln sollten. Nur so könne die Kommune auch ihre Vorstellungen durchsetzen.

Gerade auch für kleinere Städte sei dies von großer Bedeutung, wozu auch professionelle planerische und vor allem juristische Expertise von außen eingebunden werden müsste. Für eine konsequente kommunale Steuerung sollte stets die Kommune Auftraggeber von Gutachten und Planungen sein, selbst wenn die Finanzierung über den Investor erfolgt. Mit vorhabenbezogenen Bebauungsplänen und städtebaulichen Verträgen stehen zudem geeignete Planungs- und Rechtsinstrumente zur Verfügung. Diese erlauben, die baulichen, funktionalen und architektonischen Anforderungen an ein Einkaufszentrum detailliert und rechtsverbindlich gegenüber dem Investor festzulegen.

Eingeladen zur Fachtagung hatten das Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung des Landes Rheinland-Pfalz, gemeinsam mit der Stadt Bingen, dem Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz, der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern Rheinland-Pfalz, dem Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. (DV) sowie dem Büro Stadt + Handel. Anlass war die Wanderausstellung "Schöner Shoppen" des Zentrums Baukultur und die DV-Studie zur Wirkung innerstädtischer Einkaufszentren.