Warum Städte sich mit "Schulabbrechern" beschäftigen müssen

von Eddy Adams

In seinem bahnbrechenden Buch „Es lebe die Ungleichheit“ von 1958 beschreibt Michael Young die Gefahren, denen sich eine Gesellschaft aussetzt, deren Fokus zu sehr auf Qualifikationen und dem eng gefassten akademischen Wissen liegt. Eine seiner Befürchtungen war, dass Menschen wie z. B. der LKW-Fahrer, der ein herausragender Rosenzüchter ist, weniger Wertschätzung erfahren würden, da akademische Fähigkeiten  zum „goldenen Standard“ erhoben würden. Er sagte auch voraus, dass in einer solchen Welt die wahren menschlichen Werte durch schlichte akademische Abschlüsse ersetzt würden.

Warum Städte sich mit Schulabbrüchen beschäftigen sollten

Es fällt schwer zu behaupten, die Schreckensvision von Michael Young sei nicht eingetreten. In der heutigen Welt bedeuten Abschlüsse alles. Gleichzeitig können sie in diesen turbulenten Zeiten auch gar nichts garantieren. In Ländern wie Spanien oder Griechenland entdeckt gerade die  am besten ausgebildete Generation, dass ihre Abschlüsse ohne Arbeits- und Jobmöglichkeiten völlig wertlos sind. In beiden Ländern müssen die Besten ihrer Generation ihre Heimat verlassen, um ihren beruflichen Weg gehen zu können. Von denen, die sich noch in der Ausbildung befinden, kommen vielleicht einige zu dem Schluss, dass es wegen der Unberechenbarkeit des Arbeitsmarktes für sie keinen Sinn ergibt, weiter die Schulbank zu drücken. Aber trotzdem sind auf dem immer leistungsorientierteren Arbeitsmarkt nach wie vor die Qualifikationen entscheidend.

Auf der anderen Seite gibt es genügend Beispiele dafür, was passiert, wenn Schüler die Schule so früh verlassen (müssen), dass sie ohne Abschluss dastehen. Die europäische Wirtschaft sortiert weiter Jobs aus, die keinen oder nur einen sehr geringen Ausbildungsgrad voraussetzen. Die minimale Grundausbildung, ein Schulabschluss, wird so zur unabdingbaren Voraussetzung für ein annehmbares finanzielles und soziales Leben in der Gesellschaft. Sehr viele Untersuchungen belegen die Schwierigkeiten, denen sich die Menschen gegenüber sehen, die den Übergang von der Schule ins Berufsleben schlicht verpasst haben. Die <link http: www.oecd.org els emp>OECD hat beängstigende Auswirkungen vorgelegt, die mit einem Leben als Arbeits- und Beschäftigungsloser einhergehen: Langzeitarbeitslosigkeit, ein schlechter Gesundheitszustand und sogar ein Abrutschen in die Kriminalität sind nur einige der Faktoren. Gerechnet auf das gesamte Leben, wird nach einer Schätzung der EU das zusätzliche Einkommen für nur ein zusätzliches Jahr in der Schule auf 70.000 € geschätzt. Aus diesen Gründen hat die EU die Reduzierung der frühen Schulabgänger auch als eines ihrer Ziele in der EU-2020-Strategie festgesetzt. Bis 2020 soll der Anteil der Schulabbrecher in der EU auf unter zehn Prozent gesenkt werden. 2012  lag der Anteil noch bei 12,7 Prozent. Das bedeutet, dass in der EU rund 5,5 Millionen junger Menschen zwischen 18 und 24 Jahren das Bildungssystem ohne Berufsausbildung oder Abitur verlassen haben.

Städte spielen eine ganz entscheidende Rolle, um das gesetzte Ziel der EU zu erreichen. Zum einen leben rund 70 Prozent aller Menschen in der EU in Städten und die größten Städte in der EU haben eine überproportional hohe Anzahl an jungen Einwohnern. Zum anderen zeigen diese Zahlen, dass der größere Anteil an Migranten und Menschen aus ethischen Minderheiten in unseren Städten leben. Wo Untersuchungen existieren, zeigen diese, dass Kinder und Jugendliche aus ethnischen Minderheiten besonders anfällig für Schulabbrüche und das vorzeitige Verlassen des Bildungssystems sind. Ein <link https: www.spd.dcu.ie site edc documents nesse2010early-school-leaving-report.pdf>Bericht der Europäischen Kommission zeigte kürzlich auf, dass in der gesamten EU ein Anteil von 30,1 Prozent der Einwandererkinder die Schule vorzeitig verlassen (mussten). Dieser Anteil liegt recht hoch, verglichen mit dem Anteil von nur 13 Prozent einheimischer Kinder und Jugendlicher. Es ist darüber hinaus bekannt, dass weitere Faktoren, wie ein Elternhaus mit nur einfachen Bildungsabschlüssen oder auch gesundheitliche Probleme den Abbruch einer schulischen Ausbildung begünstigen.

In diesem Artikel werden wir das Phänomen des vorzeitigen Schulabbruchs in den Städten Europas erforschen. Basierend auf den letzten Untersuchungsergebnissen, sowie auch auf verschiedenen Erkenntnissen unterschiedlicher URBACT-Netzwerke werden wir uns anschauen, was Städte konkret tun können, um dieser Herausforderung zu begegnen.

Warum beenden viele junge Menschen ihre Ausbildung nicht?

Warum beenden die Kinder in unseren Städten ihre gesetzlich vorgegebene Ausbildung nicht? Wenn man sich außerhalb Europas umschaut, sieht man Kinder für ihr Recht auf Bildung kämpfen. Inspirierende Personen, wie <link http: www.biography.com people malala-yousafzai-21362253>Malala Yousafzai erinnern uns daran, dass nicht alle Kinder die Möglichkeiten und den Zugang zu einem offenen Bildungssystems nutzen können. Was ist der Grund dafür, dass heute immer noch so viele Kinder und Jugendliche in Europa ihre Chancen auf Bildung nicht wahrnehmen?

Früher einmal führte ich für die schottische Regierung eine Untersuchung zum Thema Lernen und Fähigkeiten junger Straffälliger durch. Als Teil der Untersuchung gab es eine Reihe von Workshops mit jungen Häftlingen. Als wir über ihren schulischen Erfahrungen sprachen, war ein Muster bei den jungen Männern erkennbar <link http: urbact.eu>[1]: Viele von ihnen hatten Freude an der Grundschule, sie waren den ganzen Tag mit einem vertrauten Klassenlehrer zusammen und hatten es jeden Tag mit denselben Klassenkameraden zu tun. Ihre Art von Lernen war praktischer Art, sie lernten oft in kleinen Gruppen mit dem Fokus auf bestimmte Projekte. Die akademischen Disziplinen wurden im Rahmen der Projekte kombiniert und die Ergebnisse ihres Lernens waren begreifbar und konnten häufig auch angefasst werden. Es gab viele glückliche Erinnerungen an diese Zeiten.

Der Ton änderte sich jedoch, wenn die jungen Strafgefangenen ihre Erfahrungen in der weiterführenden Schule beschrieben. In vielen Fällen ging der Umschwung einher mit dem  Besuch einer weit größeren Schule, oft mit über 1000 Schülern, die eher einer Lernfabrik ähnelte. Viele der jungen Männer kamen aus ärmlichen Verhältnissen, in denen Banden ihr Territorium absteckten und die Zugehörigkeit zu bestimmten Gangs eine entscheidende Rolle spielte. Plötzlich standen sie feindlichen Gruppen aus anderen Vierteln gegenüber. Viele sahen da nur die Möglichkeit, sich ebenfalls einer Bande anzuschließen, um ihre eigene Sicherheit gewährleisten zu können. Diese Gangs übernahmen dann die Funktion der meist nicht vorhandenen Familie für die jungen Männer. Gleichzeitig wurden die jungen Männer mit einem schulischen Terminplan konfrontiert, der sie nötigte, sich immer anderen Gruppen anzuschließen, sich an unterschiedlichen Orten und mit immer wieder anderen Lehrern zusammenzufinden.

Typischerweise „überlebten“ die Jungen das erste Jahr nach dem Schulwechsel mehr schlecht als recht. Spätestens im darauf folgenden Jahr gabt es dann Probleme wegen Schulschwänzen, schlechtem Betragen oder aus anderen Gründen. Häufig wurden diese dann auftretenden Probleme mit Lerndefiziten begründet, die naturgemäß in den industriell geprägten Gegenden unentdeckt bleiben. Außerhalb der Schule, unbeaufsichtigt und ohne positive Vorbilder, war es dann nur ein kleiner Schritt hin zur Jugendkriminalität. Und ein paar Jahre später saßen sie dann schon im Knast und nahmen an meinem Workshop teil.

Aus den Workshops resultierten viele eigentlich schon bekannte Erkenntnisse: Sehr oft gab es z. B. Elternhäuser, in denen Elternteile stark um das wirtschaftliche und soziale Überleben kämpfen mussten, so dass nur wenig Zeit für die Unterstützung des Nachwuchses blieb. Viele der Familien hatten mit dauerhafter und über Generationen währender Arbeitslosigkeit zu kämpfen und lebten in Quartieren mit hohen Arbeitslosenzahlen, die völlig unzureichend an die Stadtzentren angebunden waren. Sofern sie einer Beschäftigung nachgingen, forderte diese keine oder nur geringe Vor- oder Ausbildung. Schon von daher gab es für die jungen Leute kaum eine Anerkennung für den Wert der Bildung an sich. Und es ging hier um Schottland, die Wiege der europäischen Aufklärung und die erste Gesellschaft, die den freien Zugang für alle zum Bildungssystem anbot.

Daher folgern wir, dass das Problem von beiden Seiten entstehen kann. Manchmal liegt es an den Schülern selber und den täglichen Herausforderungen, die sie in die Schule begleiten. Manchmal ist es aber auch ein institutionelles Problem. Dies sollten wir im Auge behalten, wenn wir uns der Diagnose von Lerndefiziten widmen und den Möglichkeiten diese zu beheben.

Was erwarten wir von unseren Schulen?

Je weiter wir im 21. Jahrhundert voranschreiten, desto lauter werden die Forderungen derer,  die sich für eine Reform des Erziehungswesens aussprechen. Dieser Punkt wurde bereits so oft wiedergekäut, dass wir eigentlich schon von jedem auf der Straße die Auffassung erwarten, unser Bildungssystem bereite die junge Menschen ganz klar nicht mehr auf die moderne Arbeitswelt vor. In Europa können wir beobachten, wie die Bildungssysteme Mühe haben, dem Wandel in der modernen Arbeitswelt standzuhalten. Obwohl es bereits hochgelobte Modelle gibt, wie z. B. das deutschen Berufsausbildungssystems, sehen wir uns mit endlosen Reformen des Systems konfrontiert.

Zwischenzeitlich fordern selbst erziehungspolitische Schwergewichte wie <link http: www.ted.com talks sir_ken_robinson_bring_on_the_revolution>Sir Ken Robinson einen bildungspolitischen Wandel fundamentaler Art. Für ihn und viele, die so denken wie er, kommt unser Bildungssystem aus einer Zeit der industriellen Massenproduktion, einhergehend mit dem Bedarf an einer nicht enden wollenden Armada williger Arbeitskräfte. In der nachindustriellen Ära genügt das alte Bildungsmodell jedoch nicht mehr den modernen Anforderungen. Aus seiner Sicht muss die Schule heute ganz andere Anforderungen erfüllen.  Sie muss den jungen Menschen helfen, ihre speziellen Talente kennenzulernen und sie dabei unterstützen, diese weiterzuentwickeln. Personalisierung der Erziehung ist das Stichwort.

Diese Idee ist jedoch in öffentlichen Erziehungssystemen, in denen oft der kleinste gemeinsame Nenner bestimmend ist, nur sehr schwer umsetzbar. Wie können nun Städte den neuen Herausforderungen begegnen? Oder kritisch gefragt, was können sie wirklich tun, um das Schulabbrechen zu verhindern und was können sie tun, um junge Leute zu ermutigen, ihr volles Potential auch wirklich auszuschöpfen? Was sagt die Erfahrung der URBACT-Städte hierzu? Nun folgen fünf Lektionen aus den Erfahrungen der Netzwerke:

1. Wir müssen auch außerhalb des Schulhofes nach Lösungen suchen

Es ist ja so einfach, die Schulen für hohe Abbruchquoten verantwortlich zu machen. Dennoch gibt es genügend Hinweise darauf, dass das Problem viel breiter angefasst werden muss. Sicher sind die Schulen auch ein Teil des Problems, aber sie sind auch ein zentraler Teil der Lösung. Die europäische Kommission hat in ihrer Arbeitsgruppe <link http: ec.europa.eu education policy strategic-framework doc esl-group-report_en.pdf>(TWG) zu den vorzeitigen Schulabbrüchen die Notwendigkeit für einen übergreifenden systematischen Ansatz herausgearbeitet, in dem die Schulen eine entscheidende Rolle einnehmen:

„Kooperationen sollten in den Schulen konzentriert werden. Ihre Türen sollten für Berufstätige, für Jugend- und Sozialarbeiter, Pflegekräfte, Psychologen, Krankenschwestern, Logopäden und Sprachtherapeuten und für weitere Ansprechpartner in schwierigen Situationen  - auch Teams - geöffnet werden, um ein vorzeitiges Verlassen der Schule zu verhindern. Schulen sollten ermutigt werden, außerdem weitere Strategien zur Verbesserung des Austausches zwischen Eltern und der örtlichen Gemeinschaft zu erproben, um vorzeitige Schulabbrüche zu verhindern.“

Lokale Ämter sehen heute den dringenden Bedarf für behördenübergreifende Aktivitäten. Kinder mit dem Blick auf Erziehung, Bildung und Jobsuche aus dem Problemviertel einer Stadt zu befreien, ist ein immer wiederkehrendes Thema der jüngsten URBACT-Netzwerkarbeit. Auf der anderen Seite gibt es das Risiko, nach dem immer wieder dieselben Familien und ihre Kinder durch die unterschiedlichen städtischen Angebote und Aktivitäten angesprochen werden. Dieser Effekt resultiert aus dem heutigen fragmentierten System, in dem professionelle Ansprechpartner (Lehrer, Sozialarbeiter, Mitarbeiter im Gesundheitswesen usw.) in den Worten des URBACT-Experten Paul Downes „das Kind nur scheibchenweise sehen können“ statt es mit einem umfassenden Blick auf das Ganze zu betreuen.

Der Weg fort von dem bruchstückhaften Betreuungsmodell der Schulen als eine Insel von Einzelaktivitäten, hin zu einem System, in dem die Schulen den Knotenpunkt für gemeinsame gesellschaftliche Aktivitäten abbilden, bedeutet einen riesengroßen Schritt. Um deutliche und gemeinsame Ziele zu erreichen, sind ein gutes Durchsetzungsvermögen und viel gegenseitige Unterstützung notwendig. Dies bedeutet auch den Willen, ein System, in dem Zusammenarbeit groß geschrieben wird, zu unterstützen genauso, wie die Verantwortung der Bildung zurück an die Schulen zu geben.

Mauern um die Schule und solche zwischen öffentlichen Stellen einzureißen wiederum bedeutet, dass die Menschen in den Schulen ganz nah bei ihren Kommunen sein sollten. Die Bedeutung positiver Vorbilder und Mentoren für junge Menschen ist heute anerkannt, trotzdem ist der Lehrkörper einer Schule nicht unbedingt eng mit der Kommune verknüpft. Diese Fragen wurden auch in einem Workshop im Rahmen des von der Stadt Nantes geführten URBACT-Netzwerkes <link http: urbact.eu prevent>PREVENT diskutiert. Teilnehmer der Diskussion in Den Haag stimmten grundsätzlich zu und nannten noch weitere wichtige Faktoren:

Das durchschnittliche Alter der Lehrer einer Schule liegt üblicherweise über dem Durchschnittsalter einer Kommune, bzw. einer Stadt. Außerdem repräsentieren die Lehrer meist nicht die ethnischen Gruppen, die sie unterrichten. Lehrer müssen in der Regel viele Jahrzehnte unterrichten, bis sie in die Nähe ihres Rentenalters gelangen. Für interessierte Lehrerkandidaten, die über einen Migrationshintergrund verfügen oder die behindert sind, kann ist es häufig aus verschiedenen Gründen schwer bis unmöglich sein, den Beruf zu ergreifen - hier sollte nachgebessert werden. Denn solange die "unkonventionellen" Kandidaten unterrepräsentiert sind, wird die Lehrerschaft einer Schule nicht das Spiegelbild ihrer Stadt oder ihrer Kommune sein. Dies ist nicht nur eine simple Diskussion über die Vielfältigkeit der Gesellschaft, dies reflektiert den Unterschied zwischen den Lehrern in der heutigen Zeit und der Vorstellung von Lehrern in der Zukunft, die mit einem umfassenden Ansatz in der Lage sind, die Herausforderungen ihrer Schüler zu kennen.

Die Idee der zukünftigen Lehrer wendet sich von den Spezialisten für ein bestimmtes Fach ab. Vielmehr müssen Lehrer in der Zukunft die gesamte Entwicklung ihrer Schüler im Auge haben und dabei die Schüler immer wieder ermutigen, ihre vielfältigen Talente zu entwickeln. Dazu benötigen wir heute schon pro-aktive Schritte, um einerseits den Zugang für breitere Bevölkerungsschichten zum Lehrerberuf zu vereinfachen und um andererseits die Ausbildung für den Lehrerberuf grundlegend zu reformieren. Diese Maßnahmen können nur auf einer nationalen Ebene angestoßen werden, was uns direkt zu dem zweiten Punkt führt.

2. Mehrere Ebenen der nationalen Regierungspolitik müssen zusammenwirken

Um vorzeitige Schulabgänge zu vermeiden, benötigt man mehr als ein Zusammenwirken von verschiedenen Akteuren. Der vertikale Ansatz muss die verschiedenen Ebenen nationaler Kultus- und Erziehungspolitik erreichen. Wir haben bereits erwähnt, dass Schulen in unterprivilegierten Stadtvierteln mit vielen Schülern aus schwierigen Verhältnissen sehr viel öfter Probleme mit dem Nichterreichen vorgegebener Erziehungsziele haben. Es ist in diesen Fällen unrealistisch, von der Nachbarschaft im Stadtviertel zu erwarten, dass sie diese Probleme alleine lösen könnte.

Genauso ist es auch für die Entscheider auf städtischer Ebene nicht möglich, alle Faktoren, die ein vorzeitiges Abbrechen der Schule verhindern könnten, zum Positiven zu beeinflussen. Schlüsselfaktoren, wie die Finanzierung, der Inhalt der Lehrpläne, Aus- und Fortbildung der Lehrer und Schülerdaten werden üblicherweise in höheren, meist nationalen Ebenen der Regierung bestimmt.

Als einen Teil der Arbeit mit den Städten wurde im Projekt <link http: urbact.eu prevent external-link-new-window externen link in neuem>PREVENT seitens der Projektpartner untersucht, wer welchen Einfluss auf die Bildung und Erziehung ausübt. Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse:

Tabelle 3. Städtischer Einfluss auf Schulen

Stadt

Auf einer Skala von 1-3: Welches ist der Einflussfaktor, über den Ihre lokale Stadtverwaltung verfügt? 1 bedeutet großen Einfluss auf alle Schularten, 2 bedeutet einigen Einfluss auf viele Schulen und 3 bedeutet nur geringen Einfluss auf einige Schulen

Nantes

1

Den Haag

1

München

1

Tallinn

1

Antwerpen

3

Gijon

3

Usti

3

Stockholm

3

Sofia

2

 

Es ist bemerkenswert, dass das Niveau 2 fast gar nicht gewählt wurde. Außer Sofia schätzen die Städte ihren Einfluss auf die Schulen entweder als hoch oder nur als gering ein. Es ist wahrscheinlich, dass das Bild bei näherer Betrachtung der einzelnen Kommunen in Wirklichkeit noch mehr variiert.

Die Frage nach den Daten einzelner Schüler ist ein gutes Beispiel. Befragungen zu vorzeitigen Schulabbrüchen (z. B. im Bericht der Expertengruppe) haben gezeigt, dass eine gute Datengrundlage eine unabdingbare Waffe gegen das Nichterreichen von schulischen Zielen ist. Die genauen Muster des erzieherischen Hintergrundes zu verstehen ist notwendig, um vorhandene Ressourcen zielgenau einsetzen zu können, damit präventive Ziele erreicht werden können. Derzeit sind diese Daten noch nicht überall verfügbar, wo sie auch benötigt werden.

Für die Stadt München ist durch das Projekt <link http: urbact.eu prevent external-link-new-window externen link in neuem>PREVENT bekannt, dass es auf Landesebene und auf kommunaler Ebene unterschiedliche Systeme der Schülerdaten gibt. Daher ist es für nicht außerschulische Personen oder Institutionen nicht möglich, an genaue Daten zu den Schulabbrüchen zu gelangen. Dies bedeutet wiederum erhebliche Schwierigkeiten, um an die notwendigen finanziellen Mittel zu gelangen, gerade für die Schulen, die von dem Problem besonders betroffen sind.

Eine andere praktische Schwierigkeit liegt darin, dass Schülerprofile nach ethnischer Herkunft derzeit nicht überall vorgehalten werden. In den Staaten, in denen solche Daten existieren, können Bezüge zwischen der Intelligenz einzelner Schüler und dem schulischen Erfolg hergestellt werden, die den Mythos, wonach Schüler einer ethnischen Minderheit generell Probleme in der Schule haben, ganz laut platzen lassen. Als Beispiel seien Daten aus Großbritannien genannt, die belegen, dass weiße Jungen zu den schlechtesten Schülern zählen, während Mädchen mit asiatischem Hintergrund die besten Schulerfolge vorweisen können. Eine bemerkenswerte Entwicklung hat es vor diesem Hintergrund in London gegeben, einer der Städte mit den meisten unterschiedlichen Ethnien. Nämlich die <link http: www.theguardian.com education mar is-londons-ethnic-diversity-driving-its-school-success-story>Debatte darum, wie die unterschiedliche ethnische Herkunft der Schüler genutzt werden kann, damit in der Erziehung und im Bildungssystem Verbesserungen für alle erreicht werden.

Politische Entscheidungsträger, denen dieses bewusst ist, benötigen die zugrundeliegenden Daten. Dies bedeutet, dass eine sehr enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden auf den verschiedenen politischen Ebenen erforderlich ist.

3. Aktive junge Menschen und Eltern können helfen, das Problem in den Griff zu bekommen

Eines der Leitmotive behördlichen Handelns im 21. Jahrhundert ist die Frage nach den Wünschen ihrer Kunden. Während in den früheren Jahrzehnten viele Dinge vom "grünen Tisch" entschieden wurden, schaut man heute an vielen Stellen genauer auf die Nutzer und die Kunden öffentlicher Einrichtungen. Diese veränderte Sichtweise wird begünstigt durch eine Kombination von anspruchsvolleren Erwartungen der Kunden, einer "Rund-um-die Uhr-verfügbar-Mentalität" gefördert durch das Internet, knapper gewordenen  öffentlichen Mitteln sowie durch ein gesunkenes Vertrauen gegenüber Politikern und öffentlichen Stellen. Interessanterweise stehen Fragen der Gesundheitspolitik ganz vorne bei dieser Entwicklung, während die Themen Erziehung und Bildung noch nicht so weit in den Fokus der öffentlichen Diskussion gelangt sind. Warum das so ist, wäre an anderer Stelle zu beantworten. Wie dem auch sei, die Dinge ändern sich und das ist gut so, denn im Bereich der Erziehung betrifft das vor allem jungen Menschen und ihre Eltern.

Das <link http: urbact.eu mygeneration-at-work>My Generation at Work-Netzwerk ist zwar auf den Übergang zwischen Schule und Beruf und die berufliche Entwicklung fokussiert, erarbeitet jedoch mit den beteiligten Städten Ansätze, wie junge Menschen das System unterstützen können. Als Beispiel sei die Stadt <link http: urbact.eu sites default files lap_summary_brochure_warsaw.pdf>Warschau genannt, in der Jugendliche mit ihren eigenen Schwerpunkten im Rahmen des URBACT-Projektes ihre Beiträge zum Entwicklungsprogramm für Erziehung der Stadt 2013-2020 leisten. Dies bedeutete eine stärkere Unterstützung bei Fragen der  beruflichen Karriere, der Wertschätzung beruflicher Ausbildung und engere Verbindungen zu den Familien und Freunden.

Die Frage der Einbindung von Eltern ist derzeit noch wenig klar umrissen. Es gibt eine wachsende Zahl von Möglichkeiten, die eine Beteiligung der Eltern in schulische Prozesse bieten. Dies umfasst Schulelternbeiräte, Rektorenkonferenzen, Tage der offenen Tür und die schon lange etablierten Elternabende. Aber dies sind nur Möglichkeiten, die Eltern mit Selbstvertrauen und ausreichend sprachlichen Fähigkeiten ansprechen.

Für die meisten Eltern von Schulabbrechern sind oft die Hürden der Beteiligung zu hoch. Viele von ihnen haben selber noch sehr negative Erinnerungen an ihre Schulzeit oder es fehlt an schlichter sprachlicher Kompetenz, um mithalten zu können. Und, wie im Bericht <link http: eurochild.org policy library-details article eurochild-assessment-the-european-commissions-2011-report-on-the-application-of-the-eu-charter-on>Eurochild ausgeführt, gerade als Elternteil fragt man vor seinen Kindern nicht gern nach der Unterstützung anderer.

„Es scheint, dass es heutzutage in europäischen Ländern nicht gut angesehen ist, wenn Eltern nach Unterstützung fragen. Hinzu kommt, dass, wenn die Eltern dann einmal um Hilfe bitten, die Unterstützung von einem Defizit-Modell ausgeht: Man versucht,  etwas Schlechtes zu „heilen“. Es ist notwendig, die Unterstützung der Eltern zu normalisieren. Es sollte sich für Eltern ganz normal anfühlen, um Hilfe zu bitten und dann die notwendige Unterstützung so schnell wie möglich zu bekommen.” (Eurochild 2011, S.10).

Das Projekt <link http: urbact.eu prevent external-link-new-window externen link in neuem>PREVENT suchte vor diesem Hintergrund aktiv nach Lösungen, um die Eltern als wesentliche Ansprechpartner für potentielle Schulabbrecher in die Prozesse einzubinden. Als Ergebnis konnte eine Checkliste für Städte erstellt werden, über die diese prüfen können, ob sie bei der Einbindung von Eltern auf dem richtigen Weg sind. Das Projekt sammelte außerdem eine Reihe von Fallstudien, die gute Beispiele zur Einbindung von Eltern abbilden. In Städten wie Stockholm und Antwerpen wurden zum Beispiel Angebote zum Lernen der Sprache des Gastlandes nach der Schule für Eltern und Kinder gemeinsam unterbreitet. Das <link http: urbact.eu antwerp-kaap-learn-dutch>KAAP - Projekt in Antwerpen ist ein weiteres Beispiel für ein dreigliedriges System zwischen Schulen, Eltern und Schülern. In verschiedenen Stadtvierteln Stockholms unterstützen Eltern Kinder der Altersgruppe 3-12. Und in Sofia umfasst die Einbindung der Eltern auch solche aus unterprivilegierten Stadtvierteln.

4. Lehrpläne und Flexibilität

Kommen wir zurück zu unseren jungen Straffälligen aus Schottland. Sie haderten auch mit der weiterführenden Schule, weil sie den angebotenen Unterrichtsstoff als uninteressant und langweilig empfanden. Sie konnten einfach nicht erkennen, warum das Lernen der französischen Sprache oder physikalischer Formeln für ihr eigenes Leben sinnvoll sein könnte. Konsequenterweise verweigerten sie sich dem Unterricht. Daher ist das Vorhalten eines vielseitigen, ansprechenden Lehrplanes einer der Schlüssel dafür, junge Menschen für das Lernen zu begeistern. Häufig werden die schulischen Lehrpläne landesweit aufgestellt und dort, wo sie funktionieren, haben Schüler die Chance, einen roten Faden im Bildungsangebot zu verfolgen. Das deutsche duale System der Berufsausbildung ist ein gutes Beispiel dafür, obwohl es für junge Menschen, die nicht so recht wissen, was sie wollen, auch Gefahren bergen kann. Das URBACT-Projekt <link http: urbact.eu jobtown-holds-successful-and-well-attended-transnational-workshop>Jobtown setzte hier an und betrachtete, wie Komponenten des Systems in Städte anderer Länder transferiert werden können.

Eine Basis des dualen Systems in Deutschland (Berufsschule parallel zur Arbeit im Ausbildungsbetrieb) ist die enge Verbindung zur Arbeitswelt und dem daraus erwachsenden Vorteil, dass gestandene Arbeitskräfte wesentlich die Lehrpläne mitbestimmen. Diese Verbindung zur realen Berufswelt und damit die Verbindung zu den realen Jobs ist besonders attraktiv für junge Menschen, die aus dem schulischen Umfeld in die echte Arbeitswelt wechseln. Die Gelegenheit, an einem richtigen Arbeitsplatz mitzuarbeiten, kann helfen, den Sinn für das Lernen an sich zu schärfen.

In vielen Mitgliedsstaaten - ohne duales System - wird dies über Praktika erreicht. Schulen müssen daran arbeiten, gerade denjenigen diese Möglichkeiten zu verschaffen, die am meisten davon profitieren können. Zwischenzeitlich entstehen in ganz Europa verschiedene Schul- und Kollegformate, die möglichst attraktive Angebote für Schüler und Studenten vorhalten. Als Bespiel gibt es in Finnland das <link http: proakatemia.fi en>Pro-Academy Modell, das seine Studenten für den Schritt in die Selbstständigkeit ermutigt und sie hierbei unterstützt. Derzeit wird geprüft, wie dieses außerordentlich erfolgreiche Modell in andere Mitgliedsstaaten übertragen werden kann.

5. Im Blick: Finanzielle Ausstattung und Beratung

In einer Zeit, in der viele Städte mit weniger Geld auskommen müssen als noch vor einigen Jahren, ist das Ziel eigentlich klar: Das Gießkannenprinzip reicht jedenfalls nicht, um Schulabbrüche wirkungsvoll zu verhindern. Vielmehr besteht der Bedarf nach zielgenauer systematischer Vermittlung basierend auf verlässlichen Schülerdaten. Viele Untersuchungen haben die Notwendigkeit genauer Schülerdaten auch im Rahmen eines Frühwarnsystems bestätigt. Dies bedarf einer Kombination von Basisdaten zu einzelnen Schülern mit aktuellen Erkenntnissen aus dem täglichen Unterricht. Als Beispiel sei das Schulschwänzen als einer der Schlüsselfaktoren für ein vorzeitiges Beenden der Schullaufbahn genannt. Wenn es Erkenntnisse dazu gibt, wer aus welchen Gründen Unterricht versäumt, gibt es auch die Möglichkeit eines zielgerichteten Eingreifens.

Die Stadt Glasgow, Mitglied des Netzwerkes <link http: urbact.eu mygeneration-at-work external-link-new-window externen link in neuem>"My Generation at Work", geht noch weiter: Es ist wichtig, die Familien genauso wie Jugend- und Sozialarbeiter anzusprechen, um die Probleme zu lösen. Es handelt sich in diesem Beispiel um ein Partnerschaftsmodell, in dem jedem der Partner besondere Verantwortlichkeiten obliegen. Der Jugendliche wiederum, um den es geht, schließt sogenannte Vereinbarungen zu bestimmten Aktivitäten ab. Das Modell setzt ein Minimum an finanzieller Ausstattung voraus, um die gesetzten Ziele der Jugendlichen, z. B. den Verbleib in der Schule, in der Ausbildung, überhaupt erreichen zu können.

Eine der weiteren wichtigen Komponenten dieses Programms ist die Frage der Beratung und Begleitung. Wie viele andere Dinge auch, unterliegen Erziehungsmethoden Modeerscheinungen. So ist zum Beispiel die Berufsberatung in einigen Mitgliedstaaten der EU derzeit völlig aus der Mode gekommen. Dies hängt teilweise mit reduzierten Haushalten zusammen, aber auch mit der Kultur des New Public Management (NPM), die Angebote, deren Auswirkungen nicht direkt und positiv gemessen werden können, eher stiefmütterlich behandelt.

Jedenfalls gibt es derzeit wieder ein neues Bewusstsein für den Stellenwert einer hochqualifizierten Beratung, besonders vor dem Hintergrund, dass der Arbeitsmarkt heute erheblich komplexer geworden ist. Zudem zeigen viele Untersuchungen, dass es einen Zusammenhang zwischen effektivem Management und effektiver Beratung und guten bis sehr guten Ergebnissen in der Erziehung Jugendlicher gibt. Als ein Ergebnis dieser Erkenntnis wird der Leadexperte des Projektes <link http: urbact.eu mygeneration-at-work external-link-new-window externen link in neuem>"My generation at Work", Robert Arnkil, in nächster Zeit einen Artikel zu diesem Thema veröffentlichen.

Abschlussbemerkungen für Städte

Die bekannten Methoden zur Verhinderung frühzeitiger Schulabgänge sind Prävention, Intervention und Ausgleich. In diesem Artikel haben wir uns auf die ersten beiden Aspekte konzentriert und gezeigt, dass Städte einiges tun können, um jungen Menschen bei der Aus- und Weiterbildung zu unterstützen. Unsere aufgezeigten fünf Punkte aus den Erfahrungen verschiedener URBACT-Städte helfen anderen Städten dabei, ganz praktische Schritte zu gehen, um ein vorzeitiges Beenden von Schule oder Ausbildung zu verhindern. Nun sind wir an dem Punkt angelangt, der ein Umdenken im langfristigen Bildungs- und Erziehungssystem erfordert. Dies bedarf der Unterstützung und sehr viel Geduld. Aber schon auf kürzere Sicht können die Beispiele der URBACT-Städte anderen Mut machen und einen Weg in die richtige Richtung aufzeigen. Auf dem noch folgenden langen Weg sollte man sich immer vor Augen führen, dass das Ziel, welches es zu erreichen gilt, die heutigen Anstrengungen auf jeden Fall rechtfertigt.


<link http: urbact.eu>[1] Die Studie betrachtete auch weiblich Straffällige, doch die Ergebnisse unterschieden sich stark von denen der Männer.