Mit dem Blick von oben: Wenn Frauen an der Spitze einer Stadt stehen

Von Sally Kneeshaw

In dem folgenden Artikel, der die Gleichstellung von Mann und Frau und die Frage nach Frauen in städtischen Führungspositionen betrachtet, werden persönliche Meinungen fünf verschiedener Stadträtinnen, Bürgermeisterinnen und anderer Führungsexpertinnen vorgestellt. Der erste Artikel dieser Serie, den Sie <link http: www.urbact.eu gender-equality-cities-0>hier lesen können, stellte Daten zu weiblichen Führungskräften im Kontext europäischer Städte vor.

London Lambeth: Lib Peck

Im Jahr 2001 wurde Lib Peck in den Rat des Londoner Stadtteils Lambeth gewählt und ist seit 2012 die Vorsitzende. Sie stellte ihre Ansichten auf einer Podiumsdiskussion anlässlich des Festivals "Women of the World" vor.

„Ich bin in den in den achtziger Jahren aufgewachsen und wurde durch Feminismus und die Friedensbewegung beeinflusst. Dann fing ich irgendwann an, mich für die örtliche Politik zu interessieren, da ich meine direkte Umgebung aktiv mitgestalten wollte. Als ich schließlich zur Vorsitzenden der Ratsversammlung von Lambeth gewählt wurde, war ich sehr stolz, denn Lambeth ist ein unglaublich vielfältiger Teil von London. Unsere Kommune hat mehr als 300.000 Einwohner, einen Haushalt von rund 1,2 Milliarden Pfund und mehr als 3.000 Beschäftigte, die für uns arbeiten. Es ist eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit, an der Spitze unserer Kommune zu stehen.

Ich bin der Ansicht, dass weibliche Führungskräfte bei vielen Herausforderungen ganz andere Schwerpunkte setzen als ihre männlichen Kollegen. Zum Beispiel stehen Themen wie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, Kinderbetreuung oder auch die Betreuung von Älteren oder Hilfebedürftigen mit Sicherheit ganz oben auf der Agenda. Ich glaube, dass Fortschritte in diesen Bereichen viel schneller erzielt werden könnten, wenn wir heute mehr Politikerinnen hätten. Nach meiner Erfahrung bringen weibliche Mitglieder in Planungsausschüssen auch ganz andere politische Entscheidungen hervor, da sie die Dinge ganz anders hinterfragen, wie zum Beispiel, welche Bedeutung barrierefreier Wohnraum in der heutigen Zeit hat. Wir sollten uns von den formalen, traditionellen und bürokratischen Methoden der Bürgerbeteiligung trennen und wegkommen von der unverständlichen Verwaltungssprache, die viele Menschen eher abschreckt und nicht zum Mitmachen anregt. Wir müssen auf unsere Sprache achten, nicht nur auf den Ton, auch auf die Art und Weise, wie wir Sprache verwenden.

Wenn nur fünf Leute bei uns im Zuhörerraum sind, bedeutet das doch noch lange nicht, dass die Menschen der Kommune am Thema nicht interessiert sind. Es ist ein Irrglaube, dass die Menschen gern zu uns kommen. Wir müssen heute vielmehr die Dinge auf den Kopf stellen und dahin gehen, wo die Menschen sind. Wir müssen da zu den Leuten sprechen, wo sie aktiv sind. Während der letzten Wahlen bin ich in die portugiesischen Bars in Stockwell gegangen und habe dort nette Abende verbracht. Ich sprach dort mit einer Menge Leute, denen ich sonst nie über den Weg gelaufen wäre. Natürlich gibt es auch weniger erfreuliche Beispiele, aber man muss einfach hinausgehen und man muss mit den Menschen sprechen.

Ich glaube, dass Frauen ein deutlich größeres Interesse an gemeinsamer Arbeit haben als Männer.

Weibliche Führung hat etwas mit Umgangston und mit Kommunikation zu tun. Ich glaube aufrichtig, dass die Frauen, mit denen ich zusammengekommen bin (und ich spreche nicht nur von Frauen in der Politik), ein deutlich größeres Interesse an gemeinsamer Arbeit haben, als Männer. Denn es geht für uns auch darum, wie die Parteien und der Rat in der Gemeinde zusammenarbeiten - das ist eine Frage des politischen Stils und eine Frage der Beteiligung möglichst vieler Menschen an der Politik. Ich glaube auch, dass es dabei um die Wiedergewinnung der Sprechfähigkeit der Politik geht und um eine Definition dessen, was eine heute starke politische Führungsperson ist.

Darüber hinaus gibt es auch noch eine andere Wahrnehmung, nämlich die durch Dritte: Zum Beispiel gibt es Leute, die sich einfach wohler fühlen, wenn sie mit einer Beschwerde zu mir kommen können; die mir erzählen, dass sie mit meinen männlichen Vorgängern einfach nicht sprechen konnten.

Natürlich empfinde ich manchmal als Frau auch zusätzlichen Druck, denn ich möchte nicht nur Erfolg haben, sondern auch ein gutes Beispiel für andere sein. Ich habe daher schon ein Gefühl für meine Verantwortung als Führungskraft in Bezug auf die Art, wie ich mit den Dingen umgehe und wie ich die Geschäfte führe, wie ich zum Beispiel auch mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern rede. Ich spüre einfach, wie wichtig es ist zu zeigen, dass Politik nicht langweilig sein muss. Es geht nicht um diese eher unangenehmen Dinge, die gelegentlich im Fernsehen auftauchen, wenn Männer sich streiten. Es geht um die alltäglichen Dinge unseres Lebens, um Entscheidungen für die Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung, für die Menschen in unserer Kommune."

Bologna / Eurocities: Anna Lisa Boni

Anna Lisa Boni ist Geschäftsführerin der Organsation „Eurocities“, einem Netzwerk aller wichtigen europäischen Städte. Sie verfügt über 20 Jahre Berufserfahrung im Bereich der EU-Politik auf der Ebene lokaler und regionaler Verwaltungen. Vor ihrer Berufung zur Geschäftsführerin hat sie für die Stadt Bologna gearbeitet und vielfältige Erfahrungen mit internationalen und europäischen Netzwerken und dem Europäischen Parlament sammeln können.

„Zunächst einmal sind alle Führungsstile untrennbar mit der eigenen Persönlichkeit verbunden, sei es nun eine weibliche oder eine männliche Führungsperson. Und natürlich ist es immer schwer zu verallgemeinern. Aber in meiner beruflichen Karriere habe ich schon einige Beobachtungen hinsichtlich der Unterschiede der Geschlechter machen können.

Als ich jünger war, gab es weniger Frauen in der Politik und in Führungspositionen. Die wenigen, die es schafften, wurden als unnachgiebig angesehen, weil sie viel mehr zu kämpfen hatten als ihre männlichen Kollegen, um in die oberen Etagen zu gelangen. Sie wurden als dominante Persönlichkeit angesehen und sie mussten aggressivere Umgangsformen annehmen, um sich Gehör zu verschaffen. Heute spüre ich, dass es mehr Raum für weibliche Führungspersönlichkeiten gibt. Aber das hängt auch mit den Quoten in den Auswahlverfahren zusammen und der Tatsache, dass auch die politischen Parteien die Auswahl ihrer Repräsentanten verändert haben. Ich denke dabei gerade an junge Menschen und auch an weibliche Politikerinnen. Die Krise, die traditionelle Parteien durchlaufen, ist eine Chance für junge Leute, besonders für junge Frauen, die sich von der Masse abheben und die nun die bessere Möglichkeiten bekommen, in der Politik aktiv zu werden.

Ich glaube auch, dass die Frage nach Frauen in politischen Führungspositionen vom nationalen Kontext abhängt und zu welchem Grad es in dem jeweiligen Land Frauen überhaupt ermöglicht wird, ihre familiären Verpflichtungen mit dem Berufsleben und mit ihrem politischen Engagement zu verknüpfen. In meinem Heimatland Italien ist das ohne enge Unterstützung der Familie schwierig. In diesem Sinne gibt es wegen der unterschiedlichen Regelungen in den Ländern immer noch Diskriminierungen in Europa, durch unterschiedliche Arbeitsbedingungen und die unterschiedlichen Systeme der Kinderbetreuung.

Die Frage nach politischen Führungspositionen hängt auch davon ab, zu welchem Grad es in dem jeweiligen Land Frauen ermöglicht wird, ihre familiären Verpflichtungen mit dem Berufsleben und ihrem politischen Engagement zu vereinbaren.

Teilweise ist es auch eine Frage der Persönlichkeit, aber auch eine Frage der Fähigkeiten von Politikerinnen, inwieweit sie auf eine weibliche Art führen und die Politik aus dem Blickwinkel einer Frau betrachten. Sehr oft fehlt den Männern diese Fähigkeit; daher sind sie allein außerstande, eine ausgeglichene Politik zu entwickeln. Wie andere schon gesagt haben, es ist als ob man die Welt durch nur ein Auge betrachtet, und dann entgeht einem eine ganze Menge.

Ich begrüße keineswegs die Tatsache, dass sich der Bereich weiblicher Führungspositionen nur allzu oft auf die Kultur, die Ausbildung und soziale Angelegenheiten beschränkt. Diese Auswahl basiert auf traditionellen, geschlechtsspezifischen Muster bei Studium und Arbeit.

Generell haben Frauen höhere Erwartungen an ihre Fähigkeiten und ihr Verantwortungsbewusstsein. Sie denken eher: „Ich kann nicht Mitglied im Ausschuss für Transportwesen werden, weil ich darüber nicht genug weiß.“ Männer machen es einfach, während Frauen sich schneller für nicht qualifiziert genug halten. Man kann das natürlich nicht verallgemeinern, aber es gibt Beispiele.

Von allen Führungskräften, seien sie Männer oder Frauen, erwarten wir Ausgewogenheit zwischen Fähigkeiten und Werten. Es muss jemand sein, der zuhören kann, der offen und demokratisch ist, der über soziale Intelligenz verfügt, der aber auch stark, entscheidungsfreudig und sicher in den zu verfolgenden Zielen ist. Ich glaube, dass es eine Menge weiblicher Talente gibt, die sich derzeit eher im Verborgenen entwickeln und die nur dann auch zum Vorschein kommen können, wenn wir noch bessere Bedingungen für Frauen schaffen. So können wir dann die Welt mit beiden Augen betrachten."

Birmingham: Mariam Khan

Mariam Khan ist die jüngste Stadträtin im Rat der Stadt Birmingham, einer der größten Kommunen in Europa. Sie erläuterte ihre Ansichten zum Thema während einer Podiumsdiskussion anlässlich des "Women of the World"-Festivals. 

„Ich war 21, als ich 2011 zur Repräsentantin des Bezirks Washwood Heath in den Rat der Stadt Birmingham gewählt wurde. Mein Onkel wurde gewählt, als ich 11 Jahre alt war und so wurde Politik schon früh zum Teil meines Lebens. Als ich 14 war, flatterte eine Einladung unseres lokalen Parlamentsabgeordneten ins Haus und ich erinnere mich, wie ich meine Mutter mit den Worten nervte: „Wir sollten da wirklich hingehen, denn wir können uns doch nicht immer beschweren und wenn wir dann mal eine Einladung bekommen, nehmen wir unsere Chance nicht wahr.“ Ich ging schließlich allein zu der Veranstaltung, setze mich hin und schaute mich um. Es waren kaum Frauen da und definitiv keine weiteren jungen Leute. Seitdem engagierte ich mich mit einigen Aktivitäten im Jugendbereich. Jemand entschied, dem Jugendbeirat einen Betrag von 1.000 Pfund zur Verfügung zu stellen, damit dieses Geld anderen jungen Leuten für verschiedene Aktionen zur Verfügung gestellt werden konnte. Die Verantwortung, die mit der Verteilung des Geldes zusammenhing, machte mich sehr stolz. Ich fühlte mich wertgeschätzt, da mir jemand die richtigen Entscheidungen zutraute. Diese Erfahrung half mir, mich als jemanden wahrzunehmen, der in seinem Umfeld eine gute und positive Rolle besetzen kann.

Ich erinnere mich noch gut an die Jugendarbeiter, die schon damals zu mir meinten "Du wirst mal in der Politik enden, Mariam, definitiv." Ich sagte dann immer, "Nein ich werde nie einer Partei beitreten können, weil dort nur Lügner sitzen, die faule Kompromisse beschließen. Und wenn man sich dem hingibt, kann man niemals ehrlich seine Stimme für andere erheben." Ich engagierte mich für die Belange der Kommune und als mein Onkel erkannte, dass ich mich dem verschrieben hatte, fing er an, mich zu locken, indem er sagte "Wenn du wirklich etwas bewegen willst, und ich weiß, dass du es könntest, warum schließt du dich nicht einer der drei großen Parteien an? Damit kannst du deinen Einfluss im Rat der Stadt noch viel effektiver geltend machen.“

Washwood ist ein durch die asiatische Bevölkerung dominiertes Gebiet. Und es ist ein von Männern beherrschtes Viertel. Der einzige Weg für mich gewählt zu werden, war der über die Labour Party, denn die hatten entschieden, dass es reine Frauenkandidatenlisten geben sollte. Einige Feministinnen waren strikt dagegen, da sie der Ansicht waren, die Frauen sollten sich gegen die Männer durchsetzen - ohne Extraliste. Ich war in dieser Frage voreingenommen, denn ehrlich gesagt, wenn es keine Frauenliste gegeben hätte, wäre ich heute nicht hier. Es wäre für mich unglaublich schwer gewesen, überhaupt einen Fuß in die Tür der Birminghamer Lokalpolitik zu bekommen. Es gibt auch die Auffassung, dass es gar nicht nötig sei, Frauen in die Politik zu holen, es gäbe gar keinen Grund dafür. Manche Frauen, die ich getroffen habe, haben zum Beispiel noch nie in ihrem Leben gewählt.

Es ist wirklich ganz wichtig, Frauen, aber auch junge Leute für die Fragen der Kommune zu interessieren.

Im Rat der Stadt Birmingham mussten wir über riesige Einsparungen entscheiden und dabei dachte ich manchmal, dass wir nicht genügend nach vorn blickten, sondern immer nur von Jahr zu Jahr entschieden. Es kam mir so vor, dass es mehr eine weibliche Art war, nach vorn und über den Tellerrand hinaus zu denken, um zu sehen, was wirklich sinnvoll ist, auf längere Zeit, mit den ganzen Dienstleistungen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den verschiedenen Organisationen und den unterschiedlichen Kommunen um uns herum. In meiner Rolle als Vorsitzende für den Ausschuss für Soziale Angelegenheiten und Sicherheit in der Kommune bat ich alle möglichen lokalen Organisationen um ihre Stellungnahmen und um ihre Ideen. Als wir z. B. Untersuchungsausschüsse abhielten, lud ich ganz normale Leute ein, die einfachen Mitarbeitenden aus den Organisationen, damit sie uns erzählen konnten, woran sie arbeiteten. Das ist ein Unterschied im Vergleich zu Geschäftsführern, Präsidenten oder stellvertretenden Vorsitzenden, die vielleicht Zahlen und Statistiken präsentieren können, aber weniger die Arbeit, die tatsächlich vor Ort erledigt wird. Ein vorausdenkender Ansatz bestand für mich darin, zu erkennen, dass wir viele Dienstleistungsorganisationen in unserer Kommune haben, die nicht nur auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, sondern die vielmehr in das Leben einer Kommune z. B. über Partnerschaften dauerhaft eingebunden werden müssen. Mit Betonung auf langfristiges Denken und vorausschauendes Handeln  werden wir noch viel mehr weibliche Führungskräfte benötigen, denn ich denke, Frauen werden viel eher als Männer Probleme mit wirklich innovativen und neuen Ansätzen lösen können.

Auch Fragen der Sicherheit sind für Frauen wichtig. Eine der ersten Entscheidungen, die ich als Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit traf, war, dass wir uns im Rahmen unserer jährlichen Untersuchung auch mit familiärer Gewalt beschäftigen müssen. Diese Form der Gewalt gab es vorher nicht auf der Tagesordnung. Es ist nicht so, dass meine männlichen Kollegen sich damit nicht beschäftigen mochten, es ist nur so, dass das Problem als solches nicht wahrgenommen wurde. Wir Frauen hingegen nehmen es wahr. Eine Menge meiner Arbeit mit ganz konkreten Fällen dreht sich um das Thema, häufig verknüpft mit weiteren häuslichen Problemen. Unser Stadtviertel hatte über 20 Jahre lang nur männliche Ratsmitglieder, aber nun, nachdem ich gewählt wurde, fühlen sich mehr Frauen angesprochen, über das Thema häusliche Gewalt und Vergewaltigung auch öffentlich zu sprechen. Es ist wirklich ganz wichtig, Frauen, aber auch junge Menschen, für die Fragen der Kommune zu interessieren. Immer, wenn ich die Gelegenheit habe, mit Frauen oder jungen Menschen zu sprechen, versuche ich sicherzustellen, dass sie mich weiterhin ansprechen können, dass sie zu mir kommen können, um mehr über meine Arbeit zu erfahren."

Reggio Emilia: Serena Foracchia

Serena Foracchia war 2014 amtierende stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Reggio Emilia in Italien. Eine Stadt, die im Rahmen des URBACT II Programms das Netzwerk ENTER HUB federführend koordiniert hat.

"Ich empfinde die Rolle der stellvertretenden Bürgermeisterin als beides: einerseits als faszinierend und andererseits als sehr befriedigend. Man bekommt einen sehr guten Überblick darüber, wie eine Kommune, eine Stadt täglich arbeitet. Ich verbringe zwar eine Menge meiner Zeit in Besprechungen und Sitzungen, so dass ich manchmal kaum genug Zeit habe, meine Gedanken zu sortieren. Aber es ist wichtig für die Menschen, sichtbar zu sein, damit sie auf dich zukommen, wenn sie ein Anliegen haben.

Reggio Emilia hatte in der Vergangenheit bereits zehn Jahre lang eine Bürgermeisterin und sie war diejenige, die sich für die heute sehr berühmte Initiative "Kinder der Reggio" einsetzte und auch die Grundlagen für die Arbeit in den internationalen Beziehungen und für den Frieden legte. Ich konnte beobachten, dass Politikerinnen eine größere Sensibilität und einen stärkeren Willen haben, den Dingen auf den Grund zu gehen, wenn es um ganz konkrete Entscheidungen geht.

Mein Zuständigkeitsbereich umfasst auch den Zusammenhalt in der Kommune und so habe ich gleich nach dem Anschlag gegen das französische Magazin Charlie Hebdo in Paris die örtliche muslimische Gemeinde besucht, zu der ich nun einen regelmäßigen Austausch pflege. Ich wurde sogar in deren "männlichen" Gebäudeteil eingeladen, um dort eine Rede zu halten. Wir hielten dort eine Schweigeminute für die Opfer des Anschlages ab. Ich denke, das ist ein sehr wichtiger Teil meiner Arbeit.

Es ist wichtig, zu einem Gleichgewicht der Geschlechter in den entscheidenden Gremien zu kommen

Um mit Blick auf männliche Konkurrenz zu sprechen denke ich, dass Frauen härter arbeiten müssen, um sich Respekt zu verschaffen, als Männer. Einige Entscheidungen werden weiterhin von Männern hinter verschlossenen Türen getroffen, am Rande von Abendessen, zu denen Frauen oft keine Einladung bekommen. Und wenn wir eingeladen sind, ist das Ambiente nicht unbedingt eines, das für uns wirklich ansprechend ist.

Ich bemerke auch, dass die Menschen dich als Frau zu anderen Dingen ansprechen, als die männlichen Kollegen, weil sie denken, du bist für andere Dinge verantwortlich. Es gibt also immer noch eine andere Wahrnehmung von Politikerinnen in der heutigen Zeit.

Daher glaube ich auch, dass es außerordentlich wichtig ist, zu einem Gleichgewicht der Geschlechter in den entscheidenden Gremien zu kommen. Derzeit sind wir ein gleichwertig besetztes Team im Stadtrat, das ist schon eine gute Sache. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass weibliche Einstellungen nicht von vorn herein die Besseren sind.

Syracuse / Young Stiftung: Tricia Hackett

Tricia Hackett ist eine Expertin für Innovationen in der Young Stiftung und arbeitet im URBACT Genius Transfernetzwerk. Sie sprach über ein innovatives Projekt in Syracuse auf Sizilien im Rahmen der Podiumsdiskussion anlässlich des Festivals "Women of the World".

“Die Stadt Syracuse hatte entschieden, sich mit einem innovativen Projekt um ein heruntergekommenes Stadtviertel zu kümmern. Es handelte sich um einen Bereich der Stadt, der auch von der Polizei nicht mehr einfach so betreten werden konnte; die Menschen dort litten unter allen möglichen Arten der Vernachlässigung: Arbeitslosigkeit, eine sehr schlechte Gesundheitsvorsorge, eine unzureichende Infrastruktur und Schulen mit eingeworfenen Fensterscheiben. Auf der anderen Seite gab es auch gute Aspekte: Der Bezirk liegt in der Nähe des Meeres und es gab eine Frau dort, die sich in den letzten 30 Jahren für einen Wandel stark machte. Die Programmmanagerin der Stadt war ebenfalls eine Frau, eine Architektin und Planerin. Mit den finanziellen Zuschüssen dort konnte ein Prozess angestoßen werden, der also gleich von zwei Frauen an entscheidender Stelle, einmal vor Ort und einmal in der Stadtverwaltung, begleitet wurde.

Als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommune das erste Mal in den Bezirk kamen, wurden sie fast tätlich angegriffen. Es herrschte ein großes Misstrauen. 15 Monate später gab es eine starke Veränderung, es hatte sich eine gute Beziehung zwischen der Stadtverwaltung und den Menschen im Viertel entwickelt. Dies konnte nur entstehen, weil offen auf die Menschen dort zugegangen wurde. Indem einfach gefragt wurde, was können wir konkret für euch tun, was können wir anders machen als bisher? Was können wir tun, um die Dinge mit wenig Geld positiv zu verändern?

Mit mehr Frauen in der Stadtplanung wird eben anders über Pläne und ihre Umsetzung nachgedacht.

Die Programmmanagerin der Stadt war die erste, die diese Fragen überhaupt stellte. Sie setzte sich sehr für ihr Projekt ein und sorgte dafür, dass es nicht nur auf der städtische Tagesordnung, sondern auch auf der nationalen Agenda landete. Es war so erfreulich zu sehen, wie Frauen mit ihrer Kraft und ihren Fähigkeiten den Wandel herbeiführen können. Ihre frische Energie, kombiniert mit der Fähigkeit, Geld einzuwerben, veränderte die verkrusteten Strukturen und ermöglichte den Durchbruch für viele Verbesserungen. Nichts davon wäre ohne das Vertrauen der Menschen vor Ort passiert. Das Ganze führte zu der Bemerkung in unseren URBACT-Netzwerk, das soziale Veränderungen wohl ein weibliches Feld sind.

Ich denke generell, dass sich die Stadtplanung in den letzten zehn bis 15 Jahren gewandelt hat, hin zu Beteiligungsprozessen. Traditionell war die Planung eher ein Prozess von oben nach unten, also sehr technisch. Der Wandel liegt nun darin, dass die betroffenen Menschen in die Planung einbezogen werden. Und mit mehr Frauen in der Stadtplanung wird eben anders über Pläne und ihre Umsetzung nachgedacht. Wir brauchen die Beteiligung von Betroffenen und nicht Planung über die Köpfe hinweg. Dies ist auch das Werk von Experten der Gender Studien, wie Caren Levy vom University College in London - aber es gibt auch weiterhin viel zu tun."